Kinder versinken in der virtuellen Welt

Berlin · Kinder sind heute eigentlich ständig im Netz unterwegs. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Gesundheit. Allerdings leben oft Mama und Papa ihrem Nachwuchs ein schädliches Surf-Verhalten vor.

Wird die digitale Welt zum Fluch? Manche Eltern klagen bereits, ihren Kindern nicht mehr in die Augen schauen zu können, weil sie nur noch auf ihr Smartphone starren. Einer neuen Studie der Techniker Krankenkasse (TK) zufolge verbringt die Hälfte der 12- bis 17-Jährigen nach Ansicht ihrer Eltern zu viel Zeit im Netz- mit negativen Folgen für die Gesundheit.

TK-Vorstandschef Jens Baas hat es in der eigenen Familie erlebt. Während man gemeinsam mit der Tochter einen eineinhalb Stunden langen Film anschaute, waren auf deren Handy 200 Nachrichten aufgelaufen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD ) wolle zwar eine Anti-Stress-Verordnung für Betriebe. Aber viele Jugendliche "kennen längst keinen Feierabend mehr", weil sie ständig im Netz sind. Deshalb müsse der Umgang mit den digitalen Medien bei der Gesundheitsförderung genauso in den Blickpunkt rücken wie eine sinnvolle Ernährung oder Stressbewältigung, forderte Baas.

Vier von fünf Jugendliche besitzen ein Smartphone, mit dem sie mobil surfen können. Knapp zwei Drittel haben einen Computer. Allerdings gibt es regionale Unterschiede. Während in Baden-Württemberg und Bayern 55 Prozent der Jugendlichen einen Rechner haben, sind es bei den Spitzenreitern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen 71 Prozent. Die Saarländer liegen mit 68 Prozent nur knapp darunter.

Im Schnitt sind Jugendliche täglich 179 Minuten im Netz. Laut Studie werden aber nur sieben von zehn jungen Leuten von ihren Eltern kontrolliert, was sie sich "online" anschauen und was nicht. Vier von zehn Jugendlichen dürfen ohne Limit surfen, bekommen von ihren Eltern also keine Vorschriften. Dabei plagt viele Mütter und Väter das schlechte Gewissen. Der Aussage, man müsste sich mehr um die Internet-Nutzung des Kindes kümmern, stimmen 25 Prozent zu. Jeder zehnte Erziehungsberechtigte meint, mit seinem Online-Verhalten kein gutes Vorbild zu sein.

Sitzen Jugendliche nach einem langen Schultag in ihrer Freizeit auch noch lange vor dem Computer, bleibt das nicht ohne Folgen für die Gesundheit. Experten empfehlen mindestens eine Stunde Bewegung am Tag. Das schaffen gerade mal drei von zehn Jungen und nur jedes fünfte Mädchen. Fast ein Fünftel der Jugendlichen, die "deutlich zu viel" im Netz sind, leidet an Rückenschmerzen. Bei Kindern mit unauffälligem Online-Verhalten ist es nur jedes zehnte. "Jugendliche, deren Gehirn mangels Bewegung schlechter durchblutet ist, haben auch eine geringere mentale Leistungsfähigkeit", erklärte der TK-Chef. So leide fast jeder dritte Extremsurfer an Konzentrationsstörungen, ein Viertel klage über Kopfschmerzen. Auch Aggressivität und Schlafstörungen kämen deutlich häufiger vor.

Das digitale Zeitalter lässt sich nicht zurückdrehen. Was also tun? Wie bei so vielen Dingen käme es auf die richtige Dosis an, so Baas. "Was wir Medienkompetenz nennen, hat viel mit allgemeiner Lebenskompetenz zu tun." Wie man ein Kind dazu anhalte, nicht mit Fremden mitzugehen, müsse man sich darum kümmern, was Kinder im Netz machten. "Und wenn sie im wirklichen Leben Anerkennung erfahren, ist die Gefahr geringer, dass sie zu tief in virtuelle Welten versinken."

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