Ohne Eltern im Irak Die verlorenen Kinder der Terror-Kämpfer
Kirkuk · Die Suleimans sind eine Familie von sechs Verlierern, Kinder ohne Eltern. Still und unauffällig leben die Brüder und Schwestern zusammen in einer kleinen Wohnung in der nordirakischen Stadt Kirkuk.
Niemand soll wissen, dass ihr Vater der IS-Terrormiliz angehörte. Sie fürchten Vergeltung.
Saleh ist der Älteste der sechs Geschwister. Der 18-Jährige versucht jeden Morgen, sich als Tagelöhner zu verdingen, um die Miete bezahlen zu können. Schwester Daulat, zwölf Jahre alt, kümmert sich um den Haushalt und versorgt die anderen: den 16-jährigen Abdullah, den achtjährigen Adam, die sechsjährige Umaimah und den vierjährigen Dawud.
„Ich bin müde“, sagt Daulat. „Meine Mutter besucht mich in meinen Träumen. Ich habe Angst, wenn es nachts keinen Strom gibt.“ Die Mutter starb schon vor Jahren, der Vater ist im Gefängnis. Das Heimatdorf liegt zwar nicht einmal eine Stunde Fahrt entfernt, doch dorthin wagen sich die Geschwister erst recht nicht. Schiitische Milizionäre brannten ihr Elternhaus nieder, weil der Vater für die Terrormiliz Islamischer Staat arbeitete. Die sunnitische Organisation hatte 2014 weite Teile des irakischen Nordens und Westens überrannt, herrschte mit Gewalt und Zwang, gnadenlos. Viele, die sich nicht beugten, wurden umgebracht. Andere konnten fliehen. Manche sunnitische Einwohner indes schlossen sich dem IS an, teils aus Überzeugung, teils des Einkommens wegen. So wie der Vater der Suleiman-Kinder, er reparierte Generatoren für die Extremisten.
Als die irakischen Streitkräfte die Gebiete nach fast drei Jahren zurückeroberten, waren nicht nur Orte zerfallen, sondern auch die Sozialstrukturen. Tausende, womöglich sogar Zehntausende Kinder mutmaßlicher IS-Kämpfer bleiben auf sich gestellt, weil Vater und Mutter im Krieg getötet wurden oder im Gefängnis saßen. Ihr Stigma begleitet die Kinder, wohin sie kommen. Viele Opfer des IS suchen Vergeltung.
Die meisten IS-Kinder leben in Flüchtlingscamps, ein paar Hundert auch im Gefängnis bei ihrer inhaftierten Mutter. Einige Dutzend haben einen Platz in einem Waisenhaus. Doch selbst dort sind sie nicht sicher. Mindestens einen Anschlagsversuch auf das Waisenhaus in Bagdad hat es gegeben.
Von den Suleimans sind allein die sechs Geschwister in Kirkuk zusammengeblieben. Andere Brüder und Schwestern kamen ums Leben oder haben eigene Familien gegründet. Die sechs Geschwister wurden zunächst in ein Flüchtlingslager gebracht, bis ein Angehöriger ihnen die Wohnung in einem verarmten kurdischen Viertel in Kirkuk besorgte. „Ich bin oft den Tränen nahe“, sagt der 18-jährige Saleh. „Ich bin erschöpft. Ich fühle mich wie 30, nach allem, was ich durchgemacht habe.“