Keine Königsmörder, keine Bauernopfer Fest in Merkels Hand

Guido Westerwelle kann sonst jeden Gesichtsausdruck. Gestern aber blickte er wächsern, fast geistesabwesend in die Kameras. Der FDP-Vorsitzende und Vizekanzler kann auch sehr variabel argumentieren

 Abgang von der Pressekonferenz: Als Parteivorsitzender und Außenminister will Guido Westerwelle allerdings nicht zurücktreten. Foto: dpa

Abgang von der Pressekonferenz: Als Parteivorsitzender und Außenminister will Guido Westerwelle allerdings nicht zurücktreten. Foto: dpa

Guido Westerwelle kann sonst jeden Gesichtsausdruck. Gestern aber blickte er wächsern, fast geistesabwesend in die Kameras. Der FDP-Vorsitzende und Vizekanzler kann auch sehr variabel argumentieren. Beim Kehraus nach dem großen Wahldesaster aber kamen ihm immer wieder nur die gleichen Sätze über die Lippen: Es darf kein Weiter-so geben, die Partei braucht jetzt einen geordneten Diskussionsprozess, wir haben verstanden.Aber was haben die Liberalen verstanden? Westerwelle gab den Journalisten darauf wieder nur die Antwort, man habe verstanden, "dass wir nicht einfach so weitermachen können". Man dürfe aber nun auch nicht übereilte Entscheidungen treffen "nach dem Motto, es muss etwas geschehen, passieren darf aber nix". Immerhin, eine Andeutung konnte man hören, nämlich dass die Energiepolitik der FDP nach dem Auslaufen des dreimonatigen Moratoriums "anders aussehen wird als vorher".

Aber wie anders? In der Vorstandssitzung fand zum Beispiel Fraktionschefin Birgit Homburger, dass die Sofortabschaltung von sieben Atomkraftwerken "einen Dreh zu viel" gewesen sei. Andere wiederum hielten die Laufzeitverlängerung der Meiler für die falsche Weichenstellung. Und Atom-Befürworter Rainer Brüderle, Landeschef in Rheinland-Pfalz, sagte, er habe sich sehr über die Indiskretion über ihn aus dem BDI geärgert. Brüderle düster: "Ich glaube nicht an Zufälle."

Wer ein großes Messerwetzen gegen den am Sonntag blamierten Brüderle erwartet hatte oder gegen die ebenfalls blamierte baden-württembergische Landesvorsitzende Homburger oder gar gegen Westerwelle selbst, der wurde enttäuscht. Im Parteivorstand bat nur einer, der Berliner Alexander Pokorny, den Vorsitzenden in höflichster Form, er möge doch bitte darüber nachdenken, ob er beim Parteitag im Mai in Rostock noch einmal antreten wolle, "bei aller Würdigung Ihrer Verdienste". Ansonsten wollte keiner der Königsmörder sein. Fast alle sprachen sich dagegen aus, "jetzt irgendwelche Bauernopfer zu bringen". Nur Homburger und Brüderle sagten das nicht. Aus nahe liegenden Gründen, denn sie wären die Bauern. Allerdings, in den Medien war ein Grundrauschen der Unzufriedenheit mit dem Spitzenpersonal sehr deutlich zu vernehmen. Westerwelle vermied jede Andeutung über seine persönliche Zukunft, außer, dass er sein Amt "mit Engagement und Herzblut" ausübe. Am 11. April werde man bei einem Treffen des Präsidiums mit allen Landesvorsitzenden das neue Team benennen, das dann in Rostock zur Wahl antreten solle, sagte der Vorsitzende. "Das ist der Tag der Entscheidung." Generalsekretär Christian Lindner, ein potentieller Westerwelle-Nachfolger, sprach von einer notwendigen "Diskussion über die Mannschaftsaufstellung unserer Partei".

Am besten, meinte einer am Rande der Sitzung sarkastisch, die FDP lege erst einmal die sieben ältesten Vorstandsmitglieder still. Zwei von den "Alten" brachten gestern allerdings noch ein paar kluge Gedanken zum Grund für das Desaster der eigenen Partei und für den Triumph der Grünen mit in die Beratungen. Hermann Otto Solms und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger meinten, die Grünen hätten über 30 Jahre lang für den Atomausstieg gestanden, egal wie Wahlen ausgingen. Die FDP aber habe ihre ureigenen Themen leichtfertig aus der Hand gegeben. Bei der Frage, welche Themen das sind, waren die zwei sich jedoch schon nicht mehr einig. Bürgerrechte nannte Leutheusser-Schnarrenberger, Steuersenkungen sagte Solms. So ist sie eben, die FDP.Berlin. Es ist, als ob die Parteioberen vor ihrer Vorsitzenden Angela Merkel kniend ein Schweigegelübde abgelegt hätten. Im Berliner Konrad-Adenauer-Haus, wo früher geschwätzige CDUler nach den Sitzungen gern mal drauflos geplaudert haben, rennen fast alle Vorständler einfach nur noch raus. Das könnte ein Zeichen für die große Lethargie in der Union sein, die sich nach den zahlreichen Wahlniederlagen der letzten Zeit und erst recht nach dem historischen Debakel in Baden-Württemberg am Sonntag breit gemacht hat. Der kleine Erfolg in Rheinland-Pfalz wiegt das nicht auf. Es könnte aber auch belegen, wie fest Angela Merkel die Partei inzwischen in ihrer Hand hält. Widerspruch zwecklos, oder besser: erfolglos und damit sinnlos. "Kommt gleich alles", ruft der Saarländer Peter Müller den Journalisten zu und huscht grinsend davon. Die Parteivorsitzende wird's erklären, soll das heißen. Mit Stefan Mappus, dem Wahlverlierer, und Julia Klöckner, einer Wahlgewinnerin an ihrer Seite. Kein Wort von Müller zur Stimmung, kein Wort dazu, ob sich etwas ändern muss am Kurs der Kanzlerin, ja am Kurs der gesamten Partei. Er will Verfassungsrichter werden, da schweigt man besser. Aber es ist schon auffällig, dass sich die meisten seiner hochrangigen Freunde am Tag nach der "Zäsur" im Leben der CDU ähnlich still und unkritisch verhalten.

Wo ist das Konservative?

Es heben halt nur noch die öffentlich den Finger, die sowieso zetern und deswegen von Merkel und ihrem Lager nicht mehr ernst genommen werden.

Was ist nur los mit der CDU? Es gäbe jetzt viel zu besprechen, viel zu analysieren, wo beispielsweise all die Markenkerne der Partei geblieben sind. Vor allem das Konservative. Aber stattdessen versichert man sich selbst, dass die Wahlschlappe an der Katastrophe in Japan gelegen hat und der wenigen Zeit, die man hatte, die neue Energiepolitik zu erklären. Selbstkritik? Fehlanzeige.

Bestes Beispiel dafür ist Stefan Mappus, der abgewählte Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Er zählt eine ganze Liste von Einflüssen auf, die die Niederlage verursacht haben: Guttenberg, Japan, Protokollaffäre des Wirtschaftsministers. Nur den Verlust der eigenen Glaubwürdigkeit durch seinen Wandel vom Atom-Saulus zum Atom-Paulus führt er nicht an. Schuld sind die anderen. Merkel setzt derweil ihr tristestes Gesicht auf, Julia Klöckner lächelt dauerhaft.

 Abgang: Rainer Brüderle zog gestern Abend die Konsequenz aus dem Unmut, dem ihm wegen seiner Atom-Beichte entgegengebracht wurde und aus dem schlechten Anschneiden seiner Partei bei der Landtagswahl. Er tritt als rheinland-pfälzischer FDP-Landeschef zurück. Foto: dpa

Abgang: Rainer Brüderle zog gestern Abend die Konsequenz aus dem Unmut, dem ihm wegen seiner Atom-Beichte entgegengebracht wurde und aus dem schlechten Anschneiden seiner Partei bei der Landtagswahl. Er tritt als rheinland-pfälzischer FDP-Landeschef zurück. Foto: dpa

Die Kanzlerin betont, dass es in den Gremien keine "spezifische Kritik" an ihrem Kurs gegeben habe. Sie bezeichnet das Ergebnis in Baden-Württemberg als "tiefen Einschnitt". Das Wort "geirrt" mit Blick auf die AKW-Laufzeitverlängerung geht Merkel nicht über die Lippen. Das wäre mal eine Botschaft. Jetzt soll eben alles noch schneller gehen mit der Energiewende eingebettet in ein "Gesamtenergiekonzept". Ob das reichen wird?

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