Keine Eiszeit, aber auch kein zweiter Frühling

Vor 19 Monaten haben die Organisatoren des zweiten Ökumenischen Kirchentags (ÖKT) ihr Leitwort festgelegt - heute erscheint das Motto auf eine bedrückende Weise aktuell. "Damit ihr Hoffnung habt" heißt das Bibelwort, unter dem die mehr als 100 000 in München erwarteten Teilnehmer von heute Abend bis Sonntag reden, beten und singen wollen

Vor 19 Monaten haben die Organisatoren des zweiten Ökumenischen Kirchentags (ÖKT) ihr Leitwort festgelegt - heute erscheint das Motto auf eine bedrückende Weise aktuell. "Damit ihr Hoffnung habt" heißt das Bibelwort, unter dem die mehr als 100 000 in München erwarteten Teilnehmer von heute Abend bis Sonntag reden, beten und singen wollen. Hoffnung erscheint im Moment fast das einzige, was den Gläubigen aus evangelischer und katholischer Kirche geblieben ist: Die Protestanten trauern ihrer über eine Alkoholfahrt gestürzten Bischöfin Margot Käßmann nach. Die Katholiken fürchten gar, dass die Fundamente ihrer Kirche im Missbrauchsskandal zerbröseln könnten.

Der erste Ökumenische Kirchentag war vor sieben Jahren in Berlin. Von damals ist nur die nach katholischem Kirchenrecht illegale gemeinsame Abendmahlfeier in Erinnerung geblieben, mit der sich der Saarbrücker Theologe Gotthold Hasenhüttl riesige Probleme mit Bistum und Vatikan einhandelte (siehe Bericht unten). Dieses Mal verzichten die damals bei dem Gottesdienst federführenden amtskirchenkritischen Gruppen auf solch eine Provokation - angesichts der Skandalserie würde es wohl der katholischen Kirche nur noch weiteren Schaden zufügen. Und ein weiteres Anwachsen der Kirchenaustrittswelle wollen auch die Kirchenkritiker nicht.

Das Bistum Augsburg, wo nach dem Skandal um den von Papst Benedikt XVI. nun im Eilverfahren abgelösten Bischof Walter Mixa in Scharen Katholiken austreten, zeigt die zerstörerischen Folgen für die Kirche. Der diesjährige ÖKT zeichnet sich dadurch aus, dass das Thema Missbrauchsskandal wenigstens nicht verdrängt wird. Kurzfristig nahmen die Veranstalter zwei Podiumsdiskussionen ins Programm auf, außerdem stehen Psychologen und Berater bereit, denen sich Opfer vor Ort in München anvertrauen können. Auf ebenso großes Interesse dürfte auch der erste große Auftritt von Margot Käßmann nach ihrem Rücktritt vom Ratsvorsitz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) stoßen. Käßmann übernimmt einen der Hauptvorträge, sie referiert zu dem Thema "Sind die Kirchen ein Zeichen der Hoffnung in der Welt?".

Unabhängig von den jüngsten Skandalen gaben beide Kirchen zuletzt wenig Grund zu Optimismus. Katholiken und Protestanten leiden unter wachsenden strukturellen Problemen. In der Ökumene kommt als Problem hinzu, dass es in den vergangenen sieben Jahren praktisch keine Fortschritte gegeben hat. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch (Foto: dpa), griff jetzt zu einem historischen Vergleich, um trotz der vielen negativen Vorzeichen die Hoffnung der ÖKT-Teilnehmer auf Fortschritte zu nähren. "Vor 25 Jahren habe ich auch nicht zu hoffen gewagt, dass die Berliner Mauer so plötzlich fällt. Ich habe das damals als Geschenk Gottes gesehen. Und ich schließe - ich sage das jetzt mal in Anführungszeichen - ein solches Wunder auch in der Ökumene nicht aus", sagte er dem "Focus". An anderer Stelle räumte er allerdings auch ein, dass der "große ökumenische Enthusiasmus" verschwunden sei.

Margot Käßmann tat, als sie noch EKD-Ratsvorsitzende war, kurz und knapp kund, von Papst Benedikt XVI. erwarte sie in Sachen Ökumene "nichts". Ihr kommissarischer Nachfolger Nikolaus Schneider (Foto: Dietze) sagt über den Ökumenischen Kirchentag, die Veranstaltung könne "nicht stellvertretend das regeln, was die Kirchen unmittelbar miteinander regeln müssen, und zwar in der Lösung der großen theologischen Fragen". Der Kirchentag könne zwar Anregungen geben und Voraussetzungen schaffen - "aber das müssen die Kirchen selber machen".

Die beiden großen Kirchen, denen gemeinsam der Wind des Missbrauchsskandals ins Gesicht bläst, steuern weder auf eine ökumenische Eiszeit zu, noch auf einen zweiten Frühling. In Kommissionen und Konferenzen ringen Experten um Themen wie Abendmahl und Amt, Hierarchie und Heilige, Zweites Vatikanum und Zölibat. Zähe Arbeit, die manchen Schweißtropfen kostet. Hin und wieder kommt es zu bahnbrechenden Annäherungen wie bei der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre". Bei vielen Veranstaltungen arbeiten die Kirchen Hand in Hand - auch im politischen Berlin, wenn es beispielsweise um Stammzellen oder Sterbehilfe geht. Allerdings: Zuletzt rückten protestantische Amtsträger immer mal wieder von gemeinsamen Positionen ab, etwa mit Zugeständnissen zum "Embryonenverbrauch" oder zur Sterbehilfe. Dass sich die Nachfahren Luthers von der Einheitsübersetzung der Bibel verabschiedeten, sorgte auf katholischer Seite ebenfalls für Stirnrunzeln.

Umgekehrt ernten Katholiken Kritik, weil der Vatikan in den reformatorischen Kirchen "nicht Kirchen im eigentlichen Sinn" sieht. Oft bemängelt wird zudem die fehlende Abendmahlsgemeinschaft. Der Hintergrund des Streits: Die reformatorischen Kirchen laden auch andere Getaufte zum Abendmahl ein. Dagegen versteht die katholische Kirche die Altargemeinschaft als Ausdruck der Einheit in Glaube und Lehre. Und die sei nun mal noch nicht erreicht. Bischof Gerhard Ludwig Müller etwa, der in der Bischofskonferenz für Ökumene zuständig ist, lehnt die von Basisgemeinden gerne propagierte "ökumenische Gastfreundschaft" beim Abendmahl ab und spricht von "Etikettenschwindel". In nicht wenigen Gemeinden freilich wird die so genannte Interkommunion bei Einzelpersonen stillschweigend toleriert, vor allem bei gemischt-konfessionellen Ehepaaren. Das zeigt: An der Basis ist manches üblich, was offiziell "nicht geht". "Vor 25 Jahren habe ich auch nicht zu hoffen gewagt, dass die Mauer so plötzlich fällt."

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz,

Robert Zollitsch, über Fortschritte in der Ökumene

"Der Ökumenische Kirchentag kann nicht die großen theologischen Fragen der Kirchen regeln."

EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider zur Aufgabe des Kirchentages

Hintergrund

Der Begriff "Ökumene" bezeichnet die Bemühungen um die Einheit aller getrennten Christen. Die Ökumenische Bewegung ging zunächst von evangelischer Seite aus; als Beginn gilt die Weltmissionskonferenz von Edinburgh im Jahr 1910, deren 100. Jahrestag im Juni bevorsteht. Sie führte 1948 zur Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) mit Sitz in Genf, dem heute 349 reformatorische, anglikanische und orthodoxe Kirchen mit 560 Millionen Christen in 110 Ländern angehören. Die katholische Kirche nimmt seit Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) aktiv an der Ökumenischen Bewegung teil. Sie ist nicht ÖRK-Mitglied, arbeitet aber bei einzelnen Programmen mit. Ein herausragendes Dokument des ökumenischen Dialogs war Ende Oktober 1999 die gemeinsame Erklärung von Vatikan und Lutherischem Weltbund zur Rechtfertigungslehre.kna

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