"Keine Alternative zur Einigung"

Sie werden zu einem Zeitpunkt Präsident des Europa-Parlaments, wo die Volksvertretung Gefahr läuft, ausgebootet zu werden. Denn die Staats- und Regierungschefs machen immer mehr alleine. Wie wollen Sie da gegensteuern?Schulz: Das Europäische Parlament ist die einzige direkt gewählte EU-Institution

 Neuer Präsident des Europa-Parlaments: Martin Schulz. Foto: dpa

Neuer Präsident des Europa-Parlaments: Martin Schulz. Foto: dpa

Sie werden zu einem Zeitpunkt Präsident des Europa-Parlaments, wo die Volksvertretung Gefahr läuft, ausgebootet zu werden. Denn die Staats- und Regierungschefs machen immer mehr alleine. Wie wollen Sie da gegensteuern?Schulz: Das Europäische Parlament ist die einzige direkt gewählte EU-Institution. Daraus leite ich eine umfassende Zuständigkeit der Volksvertretung für die Politik in der EU ab - auch für die Bereiche, die die Regierungschefs für sich reklamieren. Die nationalen Parlamente können immer nur eine von 27 Regierungen kontrollieren. Nur das Europäische Parlament kann alle 27 überwachen. Wenn das nicht begriffen wird, müssen wir darüber streiten.

Bei den Beratungen zum neuen Vertrag über eine Wirtschaftsunion sitzen die Europa-Abgeordneten nur als Berater dabei . . .

Schulz: . . . und das ist schon ein Fortschritt. Die Bundeskanzlerin und ich haben über diese Frage schon während des EU-Gipfels im Dezember gesprochen. Ich habe dabei deutlich gemacht, dass das Parlament einen Ausschluss aus den Vorbereitungen für den neuen Vertrag sicher als extrem unfreundlichen Akt ansehen würde. Nun sind wir dabei, nicht nur als Berater, sondern als Gesprächspartner auf Augenhöhe, übrigens genauso wie die Vertreter der Nicht-Euro-Staaten.

Der Präsident des Parlamentes ist überall dabei. Er sitzt auch bei den Gipfeltreffen am Tisch. Wie kann er dieses Gewicht nutzen, um das Parlament weiter aufzuwerten?

Schulz: In dieser Rolle hat man keine exekutiven Befugnisse. Und doch vertritt der Präsident eine EU-Institution, die mit nationalen Parlamenten nicht vergleichbar ist. Wir haben nicht eine Regierung, die uns gegenübersteht, sondern 27. Wir begegnen diesen Regierungen auf Augenhöhe, was uns von den nationalen Kammern unterscheidet. Deshalb ist das Gewicht, das dieses Parlament hat, deutlich höher, als man in der Öffentlichkeit oft registriert. Diese Bedeutung nimmt das Plenum wahr, wenn es im Konsens mit den Führungspersönlichkeiten der Länder und der EU für wirtschaftliche Stabilität und soziale Sicherheit sorgt.

Und wen es keinen Konsens gibt?

Schulz: Dann muss man auch mal den Konflikt suchen und miteinander streiten - um die beste Lösung. Das Europäische Parlament hat, als es die Weitergabe von Bankdaten an die USA stoppte, gezeigt, wie das geht. Ich will den Respekt der Exekutiven vor dem Europäischen Parlament.

Sie haben oft die mangelhafte Führung der EU beklagt. Die EU hat insgesamt vier Präsidenten für Rat, Kommission und Parlament. Haben alle versagt?

Schulz: Das Führungsdefizit in Europa besteht nicht in einem Mangel an Personen, sondern in einem Mangel an Botschaften. Wir machen zu wenig deutlich, dass es keine wirkliche Alternative zur europäischen Einigung gibt. Im Jahre 2050 werden in der jetzigen EU vier Prozent der Weltbevölkerung leben. Heute sind es noch acht Prozent. Die werden zehn Prozent des Welt-Bruttosozialproduktes erwirtschaften. Heute sind es 30 Prozent. Das ist die Realität. Die fordert Konsequenzen. Entweder wir vertiefen die Integration und schaffen eine politische Union. Oder wir zerlegen uns in unsere Einzelteile. Die Alternative zur europäischen Einigung ist das Abgleiten in die Bedeutungslosigkeit. Das ist nicht meine Vision.

Dann ist die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, die jetzt angestrebt wird, der richtige Weg?

Schulz: Die einseitige Konzentration auf Schuldenabbau ist falsch. Es wird keine Haushaltssanierung geben, wenn es kein Wirtschaftswachstum gibt. Deshalb ist es nur richtig, wenn die einseitigen Befürworter dieser Etat-Konsolidierung begreifen, dass dieser Weg zwar notwendig ist, aber nicht alleine funktionieren kann. Wir brauchen daneben Investitionen - in Ausbildung, Infrastruktur und Jobs.

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