Kein „Utopia“ in den Alpen

Basel · Weltpremiere für eine kühne Vision: Zum ersten Mal durfte ein Volk entscheiden, ob der Staat jedem Einwohner ein Grundeinkommen zahlen muss. Die Schweizer sagten „Nein“, doch die Debatte geht weiter.

Manche Niederlagen fühlen sich wie Siege an. 78 Prozent gegen, aber immerhin 22 Prozent - nach Hochrechnungen - für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. "Wir wussten vorher, dass wir gewinnen werden - wenn auch nicht die Mehrheit", sagt schmunzelnd der deutsche Philosoph und Mitinitiator Philip Kovce. Man habe eigentlich nur mit 15 Prozent Zustimmung gerechnet. Als Sieg gilt ihm, dass die Idee auf dem Tisch bleibt und das Ringen für ihre Verwirklichung weitergeht.

Entsprechend positiv ist die Stimmung im Hauptquartier der Grundeinkommen-Initiatoren, dem Kaffeehaus "unternehmen mitte" in der Basler Altstadt. Dass eine so kühne Vision wie diese gleich bei der weltweit ersten Volksabstimmung durchkommen würde, will hier niemand geglaubt haben. Ein "Kulturimpuls" sei das Ziel gewesen, ein "Anstoß für einen Bewusstseinswandel". Und das sei doch erreicht worden, so die Befürworter des Grundeinkommens.

Träumer, Utopisten, Sozialromantiker, Spinner, Faulenzer - was haben sich die Initiatoren des Schweizer Referendums um Kovce und den Basler Restaurantbetreiber Daniel Häni nicht alles anhören müssen? Mindestens 2500 Franken pro Erwachsenem und 625 Franken für jedes Kind (derzeit rund 2260 sowie 565 Euro) solle Vater Staat - ohne Gegenleistung - überweisen, hatte Häni erklärt.

Das brachte ihm jede Menge Stammtischspott. Da half auch nicht, dass im Gegenzug andere Sozialleistungen wie Renten-, Sozialhilfe- und Arbeitslosenzahlungen wegfallen sollten. Zu den größten Streitpunkten der Grundeinkommensdebatte gehört die Frage der Finanzierbarkeit des Projekts. Nach Berechnungen der Universität St. Gallen müsste allein die Schweiz trotz des Wegfalls aller bisherigen Sozialleistungen noch jährlich 150 Milliarden Franken (136 Milliarden Euro) für die Grundeinkommen aufbringen. Dann müsse die Mehrwertsteuer auf mehr als 50 Prozent steigen, so die Studie der Universität.

Häni widerspricht: Eine intelligente Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums würde Steuererhöhungen unnötig machen: "Das Grundeinkommen ist finanziell gesehen ein Nullsummenspiel." Zudem sei nicht zu erwarten, dass es Menschen zu Faulenzern macht. Umfragen zeigten, dass die weitaus meisten Schweizer auch dann weiter nach Bildung und Beschäftigung streben würden, wenn Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, Wohnung, Kultur und Sport gesichert wären.

Bei den vielen "Nein"-Stimmen spielten aber auch Ängste im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise eine Rolle, wie die Debatten zeigten. Die Idee sei ja "interessant", sagte der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn , Ex-Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, der Zeitung "Schweiz am Sonntag"- und fügte hinzu: "Wenn Sie dann noch die Grenzen aufmachen, wird halb Afrika kommen wollen."

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