Kein Strom um jeden PreisStromkosten gefährden Existenzen

Berlin. Die Verbraucher können hoffen: Nach langem Tauziehen haben sich Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) auf ein Konzept für eine Strompreis-Bremse geeinigt. Nun sind die Länder am Zug. Bei einem gemeinsamen Treffen wurde gestern in Berlin vereinbart, dass eine Arbeitsgruppe bis zum 19

 Die Bundesregierung will die Preissteigerung bei erneuerbaren Energien wie Windkraft künftig deckeln. Foto: Becker/dpa

Die Bundesregierung will die Preissteigerung bei erneuerbaren Energien wie Windkraft künftig deckeln. Foto: Becker/dpa

Berlin. Die Verbraucher können hoffen: Nach langem Tauziehen haben sich Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) auf ein Konzept für eine Strompreis-Bremse geeinigt. Nun sind die Länder am Zug. Bei einem gemeinsamen Treffen wurde gestern in Berlin vereinbart, dass eine Arbeitsgruppe bis zum 19. März einen Kompromiss zwischen Regierung und Opposition ausarbeiten soll. Dadurch könnte eine Neuregelung noch vor der Bundestagswahl in Kraft treten. Falls sich der rot-grün dominierte Bundesrat quer stellt, wird der Vorstoß von Schwarz-Gelb allerdings nur ein Papiertiger bleiben.

Gestern Morgen gab Altmaier gut gelaunt Interviews vor seinem Ministerium, das sich ganz in der Nähe des Potsdamer Platzes befindet. Die Botschaft des Ressortchefs: Wer jetzt noch eine Einigung torpediere, müsse auch die Verantwortung für weitere Strompreissteigerungen übernehmen. Bei einem angenommenen Verbrauch von 3500 Kilowattstunden kostete die Ökostrom-Förderung einen Privathaushalt im Vorjahr noch 125 Euro. In diesem Jahr sind es bereits 185 Euro. Tendenz weiter steigend. Altmaiers Kabinettskollege Philipp Rösler ließ deshalb ebenfalls kein Mikrofon aus, um mit fast wortgleichen Bemerkungen wie Altmaier Druck auf die Länder zu machen.

Deren Vertreter zeigten sich erst einmal überrumpelt von der neuen Gefechtslage. Teilnehmern zufolge herrschte bei den Beratungen hinter verschlossenen Türen Unmut darüber, dass die Einigung zwischen Altmaier und Rösler erst in der vorangegangenen Nacht zustande gekommen war und die Länderkollegen darüber zunächst nur über die Medien erfahren hatten.

In der Sitzung präsentierten die beiden Bundesminister einen drei Seiten umfassenden Katalog mit verschiedenen Maßnahmen zur Kostendämpfung. Das Ziel ist, die EEG-Umlage, also die Kosten, die aus der Förderung erneuerbarer Energien entstehen und auf die Endverbraucher verteilt werden, bis Ende 2014 auf 5,277 Cent pro Kilowattstunde einzufrieren. In den Folgejahren soll die Umlage um jeweils 2,5 Prozent steigen. Einen solchen Vorschlag hatte Altmaier bereits Ende Januar unterbreitet. Bei Rösler biss er damit aber bis zuletzt auf Granit. Der Wirtschaftsminister wollte das Fördersystem viel radikaler beschneiden, beugte sich nun aber weitgehend den Vorstellungen seines Kabinettskollegen Altmaier. Nachfolgend die wichtigsten Einzelvorhaben:

Bei Neuanlagen, die ab 1. August 2013 in Betrieb gehen, soll es in den ersten fünf Monaten ab Inbetriebnahme keine Subvention mehr geben. Das soll 500 Millionen Euro sparen.

Bei Windanlagen an Land wird die Anfangsvergütung auf acht Cent pro Kilowattstunde gesenkt. Hier wird die Ersparnis auf 40 Millionen Euro beziffert.

Bei Biomasse-Anlagen wird der sogenannte Gülle-Bonus zum 1. August gestrichen. Zudem sollen alle schon gebauten Ökostrom-Anlagen im Jahr 2014 auf 1,5 Prozent der garantierten Vergütung verzichten. Macht zusammen 500 Millionen Euro.

Stromintensive Betriebe sollen ab 2014 eine höhere Mindestumlage zahlen. Stromfresser, die nicht im "intensiven internationalen Wettbewerb" stehen, werden ebenfalls stärker belastet. Die Details sind aber noch unklar. Auch wer seinen Öko-Strom selbst erzeugt, soll künftig eine Mindestumlage zahlen. Das soll weitere 700 Millionen Euro bringen.

Mit diesen und anderen Maßnahmen will Schwarz-Gelb insgesamt knapp 1,9 Milliarden Euro sparen. Dadurch, so die Annahme, ließe sich die gegenwärtige EEG-Umlage erst einmal stabil halten.

Einige Bundesländer sahen in den schwarz-gelben Vorschlägen gestern allerdings keine Grundlage für eine mögliche Einigung. "Dass wir nur auf der Basis dieses Papiers in der Arbeitsgruppe diskutieren, ist eine Illusion", erklärte Saarlands Energieminister Heiko Maas (SPD) gegenüber der Saarbrücker Zeitung. Die Sozialdemokraten favorisieren eine Absenkung der Stromsteuer. Das werde man auch in die Verhandlungen einbringen, sagte Maas. Allerdings macht die Stromsteuer nur etwa acht Prozent des Strompreises aus. Derweil ging Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne) ganz auf Konfrontation zum Berliner Regierungsplan. "Die Strompreis-Bremse halte ich für abgründig falsch", so Habeck. "In Wahrheit heißt das Stopp und Stillstand beim Ausbau der erneuerbaren Energien", sagte Habeck weiter. Bleibt abzuwarten, ob Bund und Länder sich zusammenraufen oder nicht.Essen. Die Hände wäscht sie sich möglichst kalt, der Kühlschrank steht gerade mal auf Eins, und beim Duschen fasst Sylvia Brahm sich kurz. Die 45-jährige alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerin aus dem Essener Norden führt einen Dauerkampf mit ihrem Haushaltsbudget - und dazu zählen die Stromkosten. "Wenn die Strompreise im Herbst noch mal steigen - ich kann einfach nicht noch mehr sparen", sagt sie.

Die Rechnung der Langzeitarbeitslosen ist schlicht und unterscheidet sich fundamental von der Lebenswirklichkeit vieler Politiker. 533,84 Euro bekommt Brahm von der Hartz-IV-Behörde, plus 184 Euro Kindergeld für ihren 19-jährigen Sohn, der gerade eine Kochlehre absolviert und noch in der gemeinsamen 60-Quadratmeter-Wohnung lebt. Von dem Geld muss alles bezahlt werden: 273 Euro Kaltmiete, Versicherungen, Essen und Trinken - und eben auch der Strom.

Sylvia Brahms Wohnung hat alte Nachtspeicheröfen und im Bad - wie früher vielfach üblich - gar keine Heizung. Um im Winter nicht zu sehr zu frieren, hat sie dort ein Elektrogebläse aufgestellt - alles Energiefresser. Ihr Verbrauch liegt bei rund 4000 Kilowatt im Jahr, eigentlich der Schnitt einer vierköpfigen Familie. Ein Billig-Stromanbieter wollte dafür nur 45 Euro Abschlag im Monat - Frau Brahm griff zu. Doch schon für das erste Halbjahr 2012 kamen hohe Nachforderungen von 276 Euro. Jetzt ist die 45-Jährige wieder bei einem großen Stromkonzern und zahlt 86 Euro Abschlag monatlich.

Für Menschen wie Sylvia Brahm könnte die Strompreis-Explosion existenziell gefährlich werden, sagt Vorstandsmitglied Klaus Müller von der Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen. Schon jetzt gäben Einkommensarme einen überdurchschnittlich hohen Anteil ihres Geldes für Energie aus. Im Hartz-IV-Regelsatz seien nur knapp acht Prozent für den Strom angesetzt - unrealistisch wenig. Bei den ständigen Strompreiserhöhungen wachse die Unterdeckung gefährlich an. Am Ende stehe oft die Stromsperre, sagen Verbraucherschützer. dpa

"Die Strompreis-Bremse halte ich für abgründig falsch."

 Die Bundesregierung will die Preissteigerung bei erneuerbaren Energien wie Windkraft künftig deckeln. Foto: Becker/dpa

Die Bundesregierung will die Preissteigerung bei erneuerbaren Energien wie Windkraft künftig deckeln. Foto: Becker/dpa

Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Robert Habeck

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