Kein Impfstoff in SichtKampf gegen Aids ist auch eine Erfolgsgeschichte

Hamburg. Vor 25 Jahren wurde im US-Fachjournal "Science" ein krankmachendes Virus beschrieben, das sich später als Aidserreger HIV herausstellte. Das nährte Hoffnungen auf einen Impfstoff, schließlich haben Mediziner solche Substanzen bereits gegen viele Krankheiten wie Kinderlähmung, Masern, Mumps oder Grippe geschaffen. Am 23

 Die meisten HIV-Infizierten leben im südlichen Afrika. Foto: dpa

Die meisten HIV-Infizierten leben im südlichen Afrika. Foto: dpa

Hamburg. Vor 25 Jahren wurde im US-Fachjournal "Science" ein krankmachendes Virus beschrieben, das sich später als Aidserreger HIV herausstellte. Das nährte Hoffnungen auf einen Impfstoff, schließlich haben Mediziner solche Substanzen bereits gegen viele Krankheiten wie Kinderlähmung, Masern, Mumps oder Grippe geschaffen. Am 23. April 1984 erklärte die damalige US-Gesundheitsministerin Margaret Heckler, dass ein solches Präparat binnen zweier Jahre erwartet werden könne. Seither hat das Virus mehr als 25 Millionen Menschen getötet - und die Aussage der Ministerin zu einem der großen Irrtümer der Medizingeschichte gemacht.

Täglich 6000 Tote

Der Seuchenzug hat in den armen Ländern verheerende Folgen. Weltweit sterben täglich rund 6000 Menschen. "Die ernüchternde Wahrheit ist, dass es derzeit keinen aussichtsreichen Kandidaten für einen HIV-Impfstoff gibt", stellt Bruce Walker von der Harvard Medical School in Boston (US-Staat Massachusetts) fest.

Seine Analyse zeigt, dass der Mensch derzeit weit davon entfernt ist, Hilfe zu finden. Auch auf der Welt-Aidskonferenz in Mexiko-Stadt, die gestern begann, ist nicht mit der Verkündung großer Fortschritte zu rechnen. Im Gegenteil: Kurz vor deren Beginn stoppte der Direktor des US-Instituts für Infektionskrankheiten, Anthony Fauci, einen geplanten neuen Impfstofftest - mangels Erfolgsaussichten. Die Forscher müssten zunächst mehr über das Virus lernen, sagte Fauci.

Suche nach dem Impfstoff

Die Hoffnung auf einen Impfstoff hatte bereits Ende 2007 einen heftigen Tiefschlag erlitten. Damals wurde ein Test abgebrochen, weil das Präparat des US-Pharmakonzerns Merck & Co. das Risiko einer Infektion scheinbar sogar erhöhte. In der Folge kamen bei führenden Experten grundsätzliche Zweifel auf: "Um brutal ehrlich mit uns selbst zu sein, müssen wir der Möglichkeit ins Auge sehen, dass wir niemals einen Impfstoff gegen HIV finden könnten", erklärte Fauci damals. Doch man gebe nicht auf. Wünschenswert wäre eine Immun-Barriere, die die Infektion verhindert, das Virus also gar nicht erst in die Zelle lässt. Falls dies scheitert, sollte zumindest seine Vermehrung gehemmt werden. Die Haupttorwächter des Immunsystems sind die Antikörper, Moleküle, die in großer Zahl im Blut enthalten sind. Sie entstehen, wenn Immunzellen Eindringlinge erkennen und die passenden Antikörper dagegen konstruieren. Diese Moleküle erkennen den Fremdkörper, lagern sich an und verhindern die Infektion der Zellen. Nach diesem Prinzip wurden Impfstoffe gegen viele Krankheitserreger hergestellt. Diese funktionieren aber nur dann gut, wenn sich der Erreger nicht oder nur wenig wandelt - aber genau dies tut HIV besonders häufig. Medikamente können Ausbruch und Verlauf der Immunschwäche nur verzögern. Immerhin ist die Lebenserwartung von HIV-Infizierten in den vergangenen Jahren durch Kombinationstherapien gestiegen, von 1996 bis 2005 um 13 Jahre, berichten Forscher im Journal "The Lancet". Das gilt für die reichen Industrieländer. Die Staatengemeinschaft ist indes weit davon entfernt, ihre selbst gesteckten Ziele bei der Versorgung der Patienten mit Medikamenten zu erreichen: Ende 2007 erhielten 31 Prozent der 9,7 Millionen Bedürftigen die Pillen. "Das bedeutet, dass etwa 6,7 Millionen keinen Zugang zu den lebensrettenden Medikamenten haben", heißt es in einem aktuellen Bericht des Aids-Programms der Vereinten Nationen. Hamburg. Obwohl es bislang keinen vorbeugenden Impfstoff gegen das Aidsvirus gibt, ist die Behandlung der Immunschwäche in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch eine Erfolgsgeschichte. Daran erinnerte der Sprecher des deutschen Kompetenznetzes HIV/AIDS, Norbert Brockmeyer, im Vorfeld der Welt-Aidskonferenz.

"Bei der HIV-Therapie ist unglaublich viel erreicht worden. Wir haben mittlerweile mehr als 20 hochwirksame Medikamente, die auch kurzfristig die Viruslast senken", erläuterte Brockmeyer. Damit lasse sich das Immunsystem sowohl qualitativ als auch quantitativ stärken: "Diese Therapie hat dazu geführt, dass HIV-Patienten eine Lebenserwartung haben, die vergleichbar ist mit jener anderer chronisch Kranker. Daran hätte bis vor zehn Jahren niemand geglaubt." Zudem nutzten die Resultate der Forschung auch, um andere Viren zu bekämpfen, etwa Hepatitis B und C. Ein Impfstoff hingegen, der eine zuverlässige Immunität gegen den Erreger von Aids schaffe, zeichne sich derzeit nicht ab. Immerhin hätten Fehlschläge dazu geführt, dass im Labor neue Strategien erprobt würden, etwa jene, das Virus mit molekularen Scheren wieder aus dem Erbgut der Infizierten herauszuschneiden. Ein Impfstoff wäre Brockmeyer zufolge bereits dann ein Erfolg, wenn er in den besonders betroffenen Ländern nur die Hälfte der neuen Infektionen verhinderte.

"Ich glaube, dass wir in den nächsten 20 Jahren dahin kommen werden", hofft der Mediziner. Die reichen Länder sieht Brockmeyer in besonderer Verantwortung: "Wir brauchen weltweit für alle Patienten eine Therapie." Nötig seien zwei sich ergänzende Strategien: Aufklärung und Behandlung. Beides verhindere neue Infektionen, Ersteres durch Verhaltensänderungen (Safer Sex), Letzteres senke die Zahl der Viren im Körper, "und das verringert das Risiko, dass ein solcher Patient andere Menschen infiziert." Beides zusammen sei sehr wirksam, sagte Brockmeyer. In Deutschland koste jede Neuinfektion in den Folgejahren mehrere hunderttausend Euro: "Das heißt, wir sparen, wenn wir gute Präventionsarbeit leisten."

Besonders mit Blick auf China, Russland und Afrika ergänzte Brockmeyer: "Die vielen neuen Infektionen ziehen viele Behandlungen nach sich, und das bindet viele Ressourcen. Wenn die Entwicklung so weitergeht, werden die Gesundheitssysteme das nicht mehr tragen können. Wir müssen jetzt eingreifen, damit wir einen finanziellen Kollaps der Gesundheitssysteme in den hauptsächlich betroffenen Ländern in zehn bis 15 Jahren verhindern." dpa

Auf einen Blick

 Die meisten HIV-Infizierten leben im südlichen Afrika. Foto: dpa

Die meisten HIV-Infizierten leben im südlichen Afrika. Foto: dpa

Die Immunschwächekrankheit Aids (Acquired Immune Deficiency Syndrome) wird durch das HI-Virus ausgelöst. Der Erreger überträgt sich durch ungeschützten Geschlechtsverkehr, verunreinigte Injektionsnadeln und verseuchte Blutkonserven. Hat sich ein Mensch mit HIV infiziert, befällt das Virus seine Abwehrzellen und zerstört sie. Die Krankheit ist bislang unheilbar. Ohne Behandlung bricht das Immunsystem zusammen. Da der Körper dann nicht mehr in der Lage ist, eigentlich harmlose Erreger abzuwehren, führt Aids zum Tod. epd

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