Serie Reportage der Woche Ausgebremst auf dem Weg zum Führerschein

Dillingen · Immer mehr Fahrschüler rasseln durch die Prüfung – Auch im Saarland. Woran das liegt? Spurensuche während einer Fahrstunde in Dillingen.

Fahrlehrer Detlef Mühlast und Schülerin Iwona Raphael während einer Fahrstunde in Dillingen.

Fahrlehrer Detlef Mühlast und Schülerin Iwona Raphael während einer Fahrstunde in Dillingen.

Foto: Nina Drokur

Ein Rucken geht durch den schwarzen VW, Jacken und Taschen rutschen von den Stoffsitzen, kurz wird der Beifahrer in den Gurt gedrückt. „Lieber etwas kräftiger bremsen. Dann gibt es keine Diskussionen“, sagt Fahrlehrer Detlef Mühlast. Denn ein Stoppschild zu überfahren, ist die Todsünde in der Führerscheinprüfung. Fahrschülerin Iwona Raphael hat sich den Rat sehr zu Herzen genommen. An der Kreuzung, kurz bevor es in Richtung Autobahnauffahrt geht, hat sie das Fahrschulauto zweifelsfrei zum Stehen gebracht. Eins, zwei, drei Sekunden. Ein Kontrollblick durch die lila Brille, Fuß leicht anheben, Kupplung kommen lassen, ein kleiner Ruckler und geschafft, der Wagen fährt wieder.

Heute geht es für Iwona Raphael noch um nichts, es ist erst ihre zehnte Doppelstunde hinterm Lenkrad. Noch kann sie sich nicht vorstellen, wie es ist, wenn die Anweisungen wegfallen, die der Fahrlehrer ihr gibt. Wenn auf der Rückbank ein Prüfer sitzt oder die einzige Prüferin im Saarland. Eine Journalistin wird dann jedenfalls nicht dort sitzen, das wäre gegen die Vorschrift.

Die Zahl der Prüflinge, die durch die Fahrerlaubnisprüfung fallen, steigt seit Jahren stetig – auch im Saarland. 21 475 Mal versuchten sich Fahrschüler 2006 an der praktischen Prüfung – in 26,3 Prozent der Fälle vergebens. 2017 saß 20 744 Mal ein Prüfling am Steuer, durchgerasselt sind 35,3 Prozent. Für den Tüv Rheinland ist ein Grund für die hohe Durchfallquote ein gesunkenes Interesse am Führerschein. Je größer die Stadt, je besser die Infrastruktur, desto weniger sei das Ziel der Jugendlichen, selbstständig ein Fahrzeug zu führen. Außerdem, so schreibt der Tüv in einer Stellungnahme, machen viele Fahrschüler den Führerschein bereits mit 17 Jahren. Dadurch könne es zur Mehrfachbelastung kommen.

Detlef Mühlast kennt diese Gründe: „Jugendliche haben heute ganz andere Interessen“, sagt er, ohne den Verkehr und seine Fahrschülerin aus den Augen zu lassen. Seit über 40 Jahren bringt er Menschen das Autofahren bei. „Die Jugendlichen lassen sich von den Eltern kutschieren, verlieren selbst den Bezug zur Mobilität“, ruft er von vorne gegen den Motorenlärm an. Autobahnauffahrt gemeistert. Aber der Mann mit den grauen Haaren hat auch Verständnis. „Wenn sie hier in Dillingen aufs Gymnasium gehen, haben sie zehn Stunden, danach rennen sie zum Verein, und dann sollen sie noch für die Fahrschule lernen?“ Zudem hat sich der Verkehr in den letzten Jahren verändert. Die Straße ist schneller geworden und aggressiver. „Keiner nimmt mehr Rücksicht“, sagt Mühlast. „Ich wollte mit einem meiner Schüler einparken üben, wir haben geblinkt, sind rangefahren, dann schießt jemand in die Lücke.“ Er schüttelt verständnislos den Kopf. „Da vorne bitte rechts.“ Zwischen seinen Sätzen gibt er stets kleine Anweisungen an Iwona Raphael, die sich hochkonzentriert ans Lenkrad klammert. Perfekte Viertel-vor-drei-Stellung. An der nächsten Kreuzung zeigt er nur auf das blaue Schild mit weißem Pfeil. Hier darf sie nur nach rechts abbiegen. Regelmäßig zucken ihre dunklen Augen Richtung Rückspiegel.

Das Einstellungsproblem, das ihr Fahrlehrer beschreibt, hat Iwona Raphael nicht. Erst mit 40 Jahren hat sie sich entschlossen, den Führerschein zu machen. In Polen, wo sie noch bis vor zehn Jahren gelebt hat, sei es für Frauen noch nicht so üblich gewesen, erzählt sie mit leichtem Akzent. „Mein Mann freut sich sehr, er hat mir ein Auto gekauft, als Ansporn.“ Bisher war die Hauswirtschafterin immer mit dem Bus unterwegs. „Achte auf den Schutzstreifen“, wieder eine besonnene Anweisung vom Beifahrersitz aus.

Was die Durchfallquote mitunter am meisten in die Höhe treibe, seien Zuwanderer: „Ein sensibles Thema, über das niemand sprechen will“, sagt Mühlast. Besonders ein Dorn im Auge des Fahrlehrers sind die sogenannten Paragraf-31-Umschreiber. Wer bereits einen Führerschein besitzt, kann sich zur Prüfung anmelden. Es besteht keine Ausbildungspflicht. „Es gibt Leute, die sich im Ausland ihren Führerschein kaufen und dann hier zur Prüfung erscheinen. Die fallen durch“, sagt er. „Und das treibt die Quote hoch.“ Dieser Paragraf 31 der Fahrerlaubnisverordnung soll aber geändert werden. Bald muss ein Fahrlehrer die Prüfungsreife bescheinigen, erläutert Mühlast.

Die Anzahl von Inhabern einer Nicht-EU-Fahrerlaubnis hat sich im Zeitraum von 2014 bis 2018 verdreifacht. In Deutschland haben laut Tüv Rheinland ungefähr 100 000 Personen eine Umschreibung zu einem deutschen Führerschein ins Auge gefasst. 14 447 bei Tüv Rheinland. Innerhalb dieses Rahmens liege die Durchfallquote bei 43 Prozent.

Die Prüfung ist eine Momentaufnahme. Eine kleine Unachtsamkeit kann es schon gewesen sein. Und die Tücken lauern überall. Zum Beispiel an der Dillinger Hütte. Das Andreaskreuz ist schon von Weitem zu erkennen. Auch schon von Weitem zu sehen: Das Tor, das die Schienen blockiert. Die Gleise sind verwittert, hier fährt längst kein Zug mehr. Und doch: Das Andreaskreuz ist da, Iwona Raphael muss langsam machen. „Zweiter Gang“, erinnert Mühlast und tippt auf den Schaltknauf. „Und was viele Prüfer jetzt gerne machen, hier rechts abbiegen.“ Das zweite Andreaskreuz. Und als es gerade beginnt aus den Gedanken zu verschwinden, folgt das dritte Andreaskreuz. Hier fahren noch Züge.An der nächsten Kreuzung wartet „die Todsünde“. Wer ein Stoppschild überfährt, fällt durch. Keine Gnade. Iwona Raphael bremst ab. „Wir rollen noch, das ist tückisch. Man fährt langsam ran, denkt man steht ja fast und es kommt ja auch keiner und dann ist es passiert. Ruhig deutlicher bremsen. Drei Sekunden Stehen, dann gibt es keine Diskussion.“ Den Rat nimmt sie sich zu Herzen. An den nächsten Stoppschildern rutschen lose Taschen und Jacken vom Rücksitz, Detlef Mühlast muss kräftig Nicken.

Die Prüfung überwacht der Fahr­erlaubnisprüfer, und wer überwacht den Prüfer? In Polen, wirft die Fahrschülerin ein, ohne den Blick von der Straße zu wenden, werden Prüfungen videoüberwacht. Detlef Mühlast lacht, während die Fahrt Richtung McDonalds weitergeht. Das kann er sich in Deutschland nicht vorstellen. Hier auf dem Parkplatz der Fast-Food-Kette starten viele Prüfungen. In wenigen Monaten wird es hier auch für Iowna Raphael ernst. Zunächst steht noch die theoretische Prüfung aus. Die wird in Deutschland in zwölf Sprachen angeboten. „Ich wollte sie aber unbedingt auf Deutsch machen.“ Und Fahrlehrer Mühlast ist zuversichtlich, dass seine fleißige Schülerin das auch schafft.

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