Kaufrausch an der Fifth Avenue

New York. Er ist ausgesprochen diskret, der Herr mit dem weißen Handschuh, der die Uhren so behutsam aus seinem Schaukasten zieht, als wären sie rohe Eier. "Sehen Sie, eine Calibre de Cartier, Grande Complication." Den Preis, eine sechsstellige Summe, haucht er über die Ladentheke, als ginge es um ein Staatsgeheimnis

New York. Er ist ausgesprochen diskret, der Herr mit dem weißen Handschuh, der die Uhren so behutsam aus seinem Schaukasten zieht, als wären sie rohe Eier. "Sehen Sie, eine Calibre de Cartier, Grande Complication." Den Preis, eine sechsstellige Summe, haucht er über die Ladentheke, als ginge es um ein Staatsgeheimnis. Und auf die Frage, wie das Geschäft läuft, dreht er den Kopf dezent nach links, wo sich drei Männer aus Asien beraten lassen. "Chinesen. Unsere besten Kunden, würde ich sagen." New York, Fifth Avenue. Ein Versuch, den Pegel des Konsumrauschs zu messen. Cartier ist in eine rot leuchtende Schleife gehüllt. Bei Abercrombie & Fitch stehen sie Schlange, als gäbe es Karten für ein Bruce-Springsteen-Konzert. Saks Fifth Avenue lockt mit exquisit dekorierten Schaufenstern, in denen sich Wasserräder drehen und Windmühlenflügel kreisen.Tiffany hat zwei Türsteher mit kreisrunden Bowlerhüten am Eingang postiert, was vermutlich "very British" aussehen soll, warum auch immer. "Alles bestens", sagt einer der beiden in sehr amerikanischem, das heißt: optimistischem, Ton. "Ich schätze mal, es kommen doppelt so viele Leute herein wie vor einem Jahr." In der zweiten Etage, wo unter Glas teure Juwelen funkeln, herrscht dichtes Gedränge.

Zum Christmas-Shopping nach Manhattan: Für Linda Brock, eine Texanerin mit wasserstoffblondem Haar, war es immer ein Höhepunkt des Jahreskalenders. Ein Traum, den man sich einfach erfüllen musste. 2009 und 2010 hat sie die Reise ausfallen lassen, zumal man in Houston fast genauso gut einkaufen kann, und auf alle Fälle billiger. Jetzt wird alles nachgeholt, im Kollektiv: Fünf Freundinnen begleiten Linda Brock auf ihrem Beutezug durch die Glitzerpassagen. Christmas-Shopping in Manhattan, für manche Ökonomen ist es ein zuverlässiges Barometer. Eines, das momentan klar einen Aufwärtstrend zeigt. Der viel zitierte amerikanische Konsument, er scheint wieder zu konsumieren. Eine Zeit lang hatte der Absturz der Finanzkrise landesuntypische Katerstimmung verbreitet. Die allgemeine Verunsicherung ließ die Sparrate steigen, auf 5,3 Prozent, einen für hiesige Verhältnisse sensationell hohen Wert. Jetzt sinkt die Rate wieder, im Herbst lag sie nur noch bei 3,5 Prozent. Wirtschaftsstatistiker berichten, dass die amerikanischen Verbraucher wieder zuversichtlicher in die Zukunft schauen. Und sich folgerichtig erneut bis zur Halskrause verschulden. Was Bernard Baumohl, den Chefökonomen der Economic Outlook Group, bereits vor dem nächsten Kater warnen lässt. Irgendwann nach Silvester, wenn die Kreditkartenrechnungen des Dezemberrauschs fällig werden. "Nachhaltig ist das alles nicht." Manny Quinones hat ein Luxusproblem. Zu wenig Porsches. "Wir mussten Wartelisten einführen", sagt er und lächelt das leise, zufriedene Lächeln eines Händlers, der seinen Kunden nichts aufschwatzen muss. In aller Regel dauert es drei Monate, bis eine Edellimousine geliefert werden kann. "Hatten wir lange nicht", freut sich Quinones, Manager bei "Manhattan Motors", New Yorks größtem Autohändler für die gehobene Kategorie. Ob Porsche, Bentley, Rolls-Royce oder Lamborghini, alles geht weg wie warme Semmeln. Im Vergleich zur Talsohle 2009 ist der Umsatz um über ein Drittel gestiegen, was daran liegt, dass die Broker der Wall Street das Geld wieder mit vollen Händen ausgeben.

Auf dem Immobilienmarkt Manhattans sorgen die Exzesse der Reichen für fette Schlagzeilen. Sandy Weill, einst Chefbanker der Citigroup, hat im Dezember das teuerste Penthouse aller Zeiten verkauft. An der Südwestecke des Central Parks, feinste Lage. 88 Millionen Dollar wollte Weill haben, mehr als doppelt so viel, wie er 2007 für die Wohnung bezahlt hatte. Es dauerte keine drei Wochen, da meldeten die Makler Vollzug. Kein Wunder, dass sie bei "Manhattan Motors" schon wieder von der Fieberstimmung des Dotcom-Booms reden, als pfiffige Computerfreaks im Handumdrehen ein Vermögen scheffelten und zum Angeben schnittige Limousinen bestellten. Egal wie teuer, Hauptsache vollgetankt, damit sie gleich losbrausen konnten. Quinones nennt es die "Seifenblasen-Zeit" und fügt in routiniertem Vertreterton hinzu, dass es diesmal ganz sicher solider zugehe. Er hofft, dass die Blase nicht platzt. "Ich schätze mal, es kommen doppelt so viele Leute herein wie vor einem Jahr."

Ein Türsteher

des New Yorker

Nobel-Juweliers Tiffany

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