Kassen klagen über Pillen-Preisschub

Berlin. Die Sparbremse hat nur für kurze Zeit funktioniert: Nachdem die Arzneimittelkosten im vergangenen Jahr erstmals seit langem wieder gesunken waren, haben sie in den ersten drei Monaten dieses Jahres schon wieder um 4,5 Prozent zugelegt. Der Grund: Bestehende Kostendämpfungen verlieren an Wirkung, und die neuen müssen sich erst noch bewähren

Berlin. Die Sparbremse hat nur für kurze Zeit funktioniert: Nachdem die Arzneimittelkosten im vergangenen Jahr erstmals seit langem wieder gesunken waren, haben sie in den ersten drei Monaten dieses Jahres schon wieder um 4,5 Prozent zugelegt. Der Grund: Bestehende Kostendämpfungen verlieren an Wirkung, und die neuen müssen sich erst noch bewähren.Etwa jeden sechsten Euro ihres Budgets geben die gesetzlichen Krankenkassen für Pillen, Salben und Säfte ihrer Versicherten aus. 2011 summierten sich diese Kosten auf knapp 31 Milliarden Euro. Das waren vier Prozent weniger als im Jahr zuvor. Nun hat sich der Trend wieder umgekehrt. Schon im Januar des laufenden Jahres schossen die Kosten nach Angaben des Apothekerverbandes ABDA um rund 5,5 Prozent nach oben. Bis Ende März schwächte sich die Entwicklung etwas ab, aber unter dem Strich bleibt immer noch ein durchschnittlicher Zuwachs um 4,5 Prozent. "Wenn das so weiter geht, landen wir bis zum Jahresende allein für Medikamente bei Mehrausgaben von über einer Milliarde Euro", klagt der Sprecher des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung, Florian Lanz.

Angedeutet hat sich diese Entwicklung schon länger. Durch das Arzneimittelsparpaket, das der damalige Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) im Jahr 2010 auflegte, wurden die Kassen zunächst Monat für Monat um jeweils rund 100 Millionen Euro entlastet. Möglich wurde das durch ein Preismoratorium und die Anhebung des Herstellerrabatts für neue Arzneimittel. Diese Maßnahmen verlieren nun ihre Wirkung.

Fachleute sprechen hier von einem Basiseffekt. Soll heißen: Auch der erhöhte Zwangsrabatt für die Hersteller bringt nach einer gewissen Zeit keine zusätzlichen Einsparungen mehr, weil die Grundpreise neuer Medikamente weiter steigen, auf die sich der feste Rabatt bezieht. Dieser Effekt trat bereits Mitte des Vorjahres ein, was aber von den bis dahin erzielten deutlichen Einsparungen überlagert wurde. "Das Hauptproblem ist, dass kostengünstigere Arzneimittel durch neue, teurere ersetzt werden. Die sind manchmal besser, häufig aber nicht", erläutert Lanz.

In Zukunft sollen die Kosten nun auf andere Art und Weise gedämpft werden. Seit dem Vorjahr hat die Bundesregierung die Preisgestaltung der Pharmafirmen durch ein neues Gesetz beschränkt. Danach muss die Pillenindustrie über den Preis für patententgeschützte Medikamente mit den Krankenkassen verhandeln. Bis dahin war sie in ihrer Preisfestlegung völlig frei. Solche Verhandlungen kommen aber gerade erst in Gang. Ob die Pillen-Preise dadurch spürbar sinken, ist also noch unklar, zumal der Gesetzgeber den Arzneiherstellern zugestand, den Preis für ein neues Produkt wenigstens noch für das erste Jahr selbst bestimmen zu dürfen. Die Opposition hatte diese Regelung heftig kritisiert, weil sie dazu angetan sein könnte, mögliche Abschläge im Zuge der Verhandlungen gewissermaßen schon von vorn herein "einzupreisen".

Bei dem entsprechenden Gesetz zeichnet sich zwar eine Korrektur ab, doch die käme der Pharmabranche zusätzlich entgegen. So will die Unionsfraktion jetzt erreichen, dass die vereinbarten Preise zwischen Herstellern und Kassen geheim bleiben. Ansonsten, so die Begründung, müssten die Unternehmen geringere Gewinne im Ausland befürchten, denn viele europäische Staaten orientierten sich bei der Festlegung der Medikamentenpreise am deutschen Preisniveau.

Auf die heimischen Pillenpreise hätte eine solche Gesetzesänderung nach Einschätzung von Experten keine Auswirkungen. "Die Sache ist aber trotzdem inakzeptabel, denn wir sollten auch ein Interesse an vernünftigen Preisen auf dem europäischen Markt haben", sagte die Gesundheitsexpertin der SPD, Marlies Volkmer, der SZ. Ein hoher Preis als Referenzwert gehe offenbar in Ordnung, aber ein niedriger nicht. "Da hat sich die Pharmaindustrie dank der Union durchgesetzt", kritisierte Volkmer. Auch Kassensprecher Lanz reagierte mit Unverständnis: "Mit Preistransparenz wäre den Kassen mehr geholfen." "Das Problem ist, dass günstigere Arzneimittel durch neue, teurere ersetzt werden."

Florian Lanz,

Sprecher der Krankenkassen

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