Kann denn Feiern Sünde sein?

München. Ein kurzes Leuchten, ein Zischen, ein Knallen. Ein paar "Ahs" und "Ohs" - und dann ist schon wieder alles vorbei. Für das kurze Feuerwerksvergnügen an Silvester geben die Deutschen Branchenschätzungen zufolge jährlich mehr als 100 Millionen Euro aus

 Die Aktion "Brot statt Böller" wirbt jedes Jahr dafür, auf Böller zu verzichten. Foto: Müller/dpa

Die Aktion "Brot statt Böller" wirbt jedes Jahr dafür, auf Böller zu verzichten. Foto: Müller/dpa

München. Ein kurzes Leuchten, ein Zischen, ein Knallen. Ein paar "Ahs" und "Ohs" - und dann ist schon wieder alles vorbei. Für das kurze Feuerwerksvergnügen an Silvester geben die Deutschen Branchenschätzungen zufolge jährlich mehr als 100 Millionen Euro aus. Muss das sein? Wäre das Geld anderswo nicht sinnvoller aufgehoben? Diese Fragen stellen vor allem christliche Hilfswerke und Gruppierungen und sammeln unter dem einprägsamen Motto "Brot statt Böller" Geld für hungernde Menschen.Vor genau 30 Jahren begann eine Gemeinde in Schleswig-Holstein mit der Aktion, wie Rainer Lang vom evangelischen Hilfswerk "Brot für die Welt" sagt. Inzwischen verbreitet vor allem dieses Hilfswerk den Slogan, um zur Jahreswende zu Spenden aufzurufen. Auch viele andere Verbände und Einrichtungen machen solche Aktionen. Der Slogan ist nicht geschützt. "Es ist doch schön, dass sich so etwas wie eine Marke etabliert hat", meint Lang.

Immer wieder sehen sich die Initiatoren mit dem Vorwurf konfrontiert, sie seien Spaßbremsen und gönnten den Menschen die fröhliche Böllerei zum Jahreswechsel nicht. Lang entgegnet da: "Man kann auch feiern, ohne viele tausend Raketen in die Luft zu schießen." Wichtig sei außerdem eine Diskussion: "Man kommt ins Gespräch." Gerade zum Start in ein neues Jahr seien Menschen auch empfänglich dafür, ein "globales Bewusstsein" zu entwickeln und an Notleidende anderswo auf der Welt zu denken. Mit dem Aufruf, an Silvester zu spenden, anstatt Feuerwerkskörper zu kaufen, sammeln jedes Jahr auch evangelische und katholische Jugendliche im Raum München Spenden. Schon seit 29 Jahren läuft die Aktion des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) in der Region München und der Evangelischen Jugend München (EJM). Das Geld geht direkt an Projekte in der Dritten Welt - die Verwaltungskosten tragen die beiden Jugendorganisationen. "Das finden die Menschen attraktiv", sagt Christine Tröger von der Evangelischen Jugend. Das Spendenaufkommen sei von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Allein in den vergangenen acht Jahren wurden zwei Projekte, die Straßenkindern in Simbabwe und Kenia helfen, mit mehr als 80 000 Euro unterstützt.

Kritik an "Brot statt Böller" kommt aber nicht nur von Menschen, die den Christen vorwerfen, ihnen den Spaß verderben zu wollen. Die "Aktion 3. Welt Saar" nennt den kirchlichen Spendenaufruf gar verlogen. Der Vorstand des Bündnisses betont: "Der Aufruf trägt eine gehörige Portion Lustfeindlichkeit zur Schau und appelliert lediglich an das schlechte Gewissen." Der Zusammenhang zwischen Feuerwerk und dem Hunger in der Welt sei willkürlich hergestellt. Man könne genauso gut zum Verzicht auf Christbäume, Bücher oder Fußballspiele aufrufen. "Dass Menschen hungern, obwohl es genügend Nahrungsmittel gibt, liegt an der Verteilung und an der Verwendung von Nahrungsmitteln als Viehfutter. Denn Hunger ist kein Schicksal, sondern wird gemacht", betont der Vorstand Hans Wolf. Die Befürworter der Aktion argumentieren dagegen, dass gerade beim Silvesterfeuerwerk das Vergnügen sehr kurz und die Ausgaben sehr hoch seien. "Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen, wie viele Millionen Euro da in die Luft geblasen werden", sagt Tröger. Und als Spaßbremsen sehe man sich ganz und gar nicht. Das neue Jahr lässt sich beispielsweise mit Sekt begießen, den BDKJ und EJM verkaufen: Eine Flasche Sekt aus dem Elsass gibt es für 9,00 Euro - der Gewinn von 2,60 Euro pro Flasche geht direkt an die Spendenaktion. "Brot für die Welt" bietet den Nutzern von Apple-Geräten eine Software an, mit der sich ein Feuerwerk auf dem Display abbrennen lässt - "umweltschonend und witterungsunabhängig", wie es heißt. Die Erlöse werden gespendet.

Unterstützung bekommen die "Brot-statt-Böller"-Aktionen auch regelmäßig von hochrangigen Kirchenvertretern. In diesem Jahr rief etwa der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick dazu auf, lieber zu spenden als zu böllern: Damit könne man einen Beitrag leisten, den mehr als eine Milliarde hungernden Menschen auf der Welt zu helfen. "Der Aufruf

appelliert lediglich

an das schlechte Gewissen."

"Aktion 3. Welt Saar"

zu "Brot statt Böller"

Meinung

Freude statt Frust

zum Jahresbeginn

Von SZ-RedakteurThomas Sponticcia

Es ist selbstverständlich angebracht, durch eigene Spenden sowie persönliches Engagement in sozialen Einrichtungen einen Beitrag dazu zu leisten, weltweit die Not derer zu bekämpfen, denen es selbst am Nötigsten fehlt. Was man tun kann, um zu helfen, ist jedoch eine zutiefst individuelle Entscheidung jedes Einzelnen. Und gehört nicht von außen reguliert. Der seit 30 Jahren zu hörende Slogan zum Jahresende "Brot statt Böller" dient in Wahrheit nur einem Zweck: Er soll einmal mehr eine typisch deutsche Befindlichkeit bedienen, das schlechte Gewissen. Nur ja nicht fröhlich sein zum Jahreswechsel, nur ja nicht lachen oder Lebensfreude zeigen. Gar noch gepaart mit einer frohen Runde, dem obligatorischen Glas Sekt in der Hand und Feuerwerk zur Begrüßung des neuen Jahres: geht gar nicht. Geht doch! Denn eine solch ablehnende Haltung ist heute das Gleiche, was sie auch schon vor 30 Jahren war: einfach Unsinn.

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800 Jahre Breiten Alsfassen und Breiten waren einst selbstständige Orte und kamen 1859 zu St. Wendel. Während sich der Begriff Alsfassen erhalten hat, ist Breiten ein fast vergessener Stadtteil. Vor 800 Jahren ist das Dorf erstmals erwähnt worden.
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