Kampf um die besten Köpfe"Die Qualifikation ist gesetzlich geregelt"

Saarbrücken. Bevor sich die 21 rumänischen Medizinstudenten im März verabschiedeten und sich auf ihre lange Heimreise machten, bekamen sie in Saarbrücken noch ein paar warme Worte mit auf den Weg. "Ich bin überzeugt, dass wir einige Gesichter wiedersehen werden", sagte Alfons Vogtel

Saarbrücken. Bevor sich die 21 rumänischen Medizinstudenten im März verabschiedeten und sich auf ihre lange Heimreise machten, bekamen sie in Saarbrücken noch ein paar warme Worte mit auf den Weg. "Ich bin überzeugt, dass wir einige Gesichter wiedersehen werden", sagte Alfons Vogtel. Der Geschäftsführer der Saarland-Heilstätten GmbH (SHG), die mehrere Krankenhäuser im Saarland betreibt, hatte die jungen Osteuropäer für vier Wochen ins Saarland eingeladen - für ein Praktikum in den SHG-Kliniken und im Kreiskrankenhaus St. Ingbert. Um ihnen eine spätere Tätigkeit als Arzt im Saarland schmackhaft zu machen, bot Vogtel ihnen während ihres Saarland-Aufenthaltes einen Deutsch-Crashkurs und ein Freizeitprogramm mit Ausflügen nach Luxemburg, Metz, Straßburg und zur Saarschleife.

Harter Konkurrenzkampf

Vogtel ist im Saarland Pionier bei der Suche nach ausländischen Ärzten. Vor allem kleinere Krankenhäuser haben massive Probleme, Nachwuchs zu finden (siehe Hintergrund). Viele Personalchefs schalten Headhunter ein und suchen im Ausland nach Medizinern, vor allem in Süd- und Osteuropa. Unter den Krankenhäusern herrscht ein regelrechter Konkurrenzkampf um die besten Köpfe aus dem Ausland. Um Leute wie den jungen Rumänen Josif Stachnik (26). Während eines Praktikums in der Chirurgie des Evangelischen Krankenhauses in Saarbrücken wurde er von einer Kölner Einrichtung abgeworben. Stachnik kennt viele junge rumänische Ärzte in der Region. "Die meisten wollen hier bleiben", sagt er.

Vor wenigen Wochen ist Vogtel wieder aus Rumänien zurückgekehrt. Am Steuer seines Landrovers hat er Chefärzte seiner Kliniken und aus St. Ingbert 1700 Kilometer nach Craiova in Südrumänien chauffiert. "In die Walachei", sagt er. Die Gegend heißt tatsächlich so.

Vogtel hat dort schon Anfang 2011 einen Vertrag mit der medizinischen Fakultät der Universität geschlossen, der Studenten die Möglichkeit gibt, im Saarland gegen ein kleines Honorar Praktika zu machen. Um den Studenten vorher ein paar Brocken Deutsch beizubringen, hat er in Craiova drei Deutsch-Lehrerinnen angeheuert. Von den 40 Studenten der Uni, die bislang im Saarland ein Praktikum gemacht haben, wollten mindestens vier für die Facharzt-Ausbildung zurück ins Saarland kommen, sagt Vogtel.

In den süd- und osteuropäischen Staaten tummeln sich inzwischen viele Personalvermittler, die deutschen Krankenhäusern Ärzte anbieten. Der Personalberater Thomas Dannecker, der auch für saarländische Krankenhäuser arbeitet, warnt aber: "Viele in der Vermittlungsbranche wollen nur schnelles Geld machen." Tatsächlich geht es um sehr viel Geld: Ein saarländischer Krankenhaus-Manager berichtet von Provisionen im fünfstelligen Bereich. In einigen Staaten ist der Ärzte-Markt schon jetzt leer. So gilt Tschechien in Branchenkreisen als "abgegrast".

Um dem Ärztemangel beizukommen, haben die 24 saarländischen Krankenhäuser ihren Dachverband kürzlich beauftragt, die Suche nach Medizinern im Ausland zu koordinieren. Die Saarländische Krankenhausgesellschaft plant - nach Vogtels Vorbild - Partnerschaften mit medizinischen Fakultäten in Osteuropa. Studenten dort sollen Praktika in saarländischen Krankenhäusern angeboten werden. Auch um Sprachkurse will sich die Gesellschaft kümmern.

Gerade die Sprache ist häufig das Problem. Sich im Patientengespräch oder im Entlassungsbrief korrekt auszudrücken, ist auch für Josif Stachnik eine Herausforderung. "Es ist schwer, aber es funktioniert. Jeden Tag wird es besser." SHG-Chef Vogtel räumt ein, viele Patienten seien natürlich nicht begeistert, wenn sie den Arzt nicht auf Anhieb verstünden. "Aber wenn gar kein Arzt da wäre, wären sie noch weniger begeistert."

Aber wie moralisch ist es, gerade in den ärmeren Staaten in Süd- und Osteuropa gut ausgebildete Ärzte abzuwerben? "Ich ziehe in der Tat die guten Köpfe ab", räumt Personalberater Dannecker ein. "Aber ich bin nicht der verantwortliche Gesundheitsminister dort. Diese Staaten sind selber schuld. Sie entlassen die Absolventen in ein marodes Gesundheitssystem, in dem sie ausgenutzt und ausgebeutet werden."

Auch Vogtel hat sich über die Ethik-Frage den Kopf zerbrochen. "Natürlich ist das nicht unproblematisch", sagt er. Aber in Rumänien gebe es ohnehin nicht genügend Stellen für die Facharzt-Ausbildung. "Das hat uns die Sache schon erleichtert." Der nächste Rumänien-Austausch steht im August an. Für die 21 Plätze haben sich schon jetzt vier Mal so viele Interessen gemeldet.Die saarländischen Krankenhäuser wollen verstärkt Ärzte aus Osteuropa anwerben. Ist das die Lösung des Problems Ärztemangel?

Mischo: Wenn Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland freie Stellen in Krankenhäusern besetzen, mildert das den Mangel an Medizinern. Dieser - in einem europäischen Wirtschaftsraum eigentlich normale - Vorgang löst aber das vielschichtige Problem nicht, unsere gute medizinische Versorgung in Zukunft zu gewährleisten. Wir brauchen zum einen eine bessere Vernetzung zwischen den Ärzten in Klinik und Praxis und zum anderen eine gut abgestimmte Kooperation mit den anderen Gesundheitsberufen. Und wir brauchen eine bessere Ausstattung der medizinischen Fakultäten.

Ist der Ausbildungsstandard junger Ärzte aus Osteuropa mit dem hiesigen vergleichbar?

Mischo: Die Frage nach der nötigen Qualifikation ist gesetzlich geregelt. Innerhalb der EU gibt es beim Medizinstudium und der Facharztausbildung Mindeststandards, deren Einhaltung überprüft wird. Ärzte, die aus einem anderen EU-Land kommen, können durch dieses Verfahren hier ihre Approbation beantragen. Im Zweifelsfall kann es hier eine Defizitprüfung geben. Kollegen aus Nicht-EU-Ländern müssen eine sogenannte Gleichwertigkeitsprüfung ablegen. Wünschenswert wäre, wenn der eine oder andere seine Deutschkenntnisse schon in seinem Heimatland vertiefen könnte.

Wie moralisch ist es, Ärzte aus ärmeren Staaten abzuwerben?

Mischo: Sicher ist es nicht unproblematisch, wenn Industriestaaten hoch qualifizierte Fachkräfte aus ihrer Heimat abwerben, weil sie nicht in der Lage sind, ihren Bedarf selbst zu decken. Aber wir haben auch das Recht der beruflichen Freizügigkeit jedes Einzelnen in einem freien Europa. Im Bereich der Facharztausbildung kommt noch hinzu, dass in anderen Ländern nicht die Möglichkeiten und Kapazitäten wie bei uns bestehen. Viele ausländische Ärztinnen und Ärzte haben durch ihre Tätigkeit hier die Möglichkeit, ihre Familien in der Heimat zu unterstützen; oder sie können früher oder später als gut ausgebildete Fachärzte wieder in ihrer Heimat tätig werden. Es ist also summa summarum ein Nehmen und Geben.Foto: ärztekammer

Hintergrund

Der Ärztemangel in Krankenhäusern nimmt seit Jahren zu. Nach einer Studie im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) aus dem Jahr 2010 haben rund drei Viertel der Kliniken Probleme, offene Arztstellen zu besetzen. Im Saarland gibt es nach Angaben der saarländischen Ärztekammer rund 2400 Klinikärzte. 2011 vergab das Landesamt für Gesundheit und Verbraucherschutz Approbationen an 53 ausländische Ärzte.

Ursachen des Ärztemangels sind die Neufassung des Arbeitszeitrechts im Jahr 2004 (seither gilt die Bereitschaftszeit vollständig als Arbeitszeit) und die Abwanderung von Ärzten ins Ausland. Zwar gibt es so viele Ärzte wie noch nie, doch immer weniger von ihnen lassen sich nieder oder arbeiten im Krankenhaus. Als weiteren Grund nennt die Studie, dass immer mehr Medizinstudenten weiblich seien, gerade aber für Frauen der Job in einer Klinik wegen der ungeregelten Arbeitszeiten nicht sonderlich attraktiv sei. kir

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