Kampf gegen Schnee, Sturm und Wasser

Der scharfe Wind pfeift. Die hohen Wellen der Ostsee peitschen mit Wucht gegen das Ufer, immer und immer wieder. Bei Dahmeshöved (Kreis Ostholstein) haben sie nach und nach Höhlen in den Deich gefressen. Gestern Nachmittag bricht er an einer Stelle bereits ein

Der scharfe Wind pfeift. Die hohen Wellen der Ostsee peitschen mit Wucht gegen das Ufer, immer und immer wieder. Bei Dahmeshöved (Kreis Ostholstein) haben sie nach und nach Höhlen in den Deich gefressen. Gestern Nachmittag bricht er an einer Stelle bereits ein. Doch Sturm und Schnee machen es den Helfern schwer: In Schleswig-Holstein sind Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten und Straßen unpassierbar. Auch Lastwagen, die Steine nach Dahmeshöved bringen sollten, stecken zunächst im Schnee fest. Am Samstagabend wurden sie entdeckt: angefressene Stellen in dem zwei Kilometer langen Deichstück, das Dahme und Kellenhusen verbindet und die Niederungen sowie einen großen Bauernhof mit mehr als 300 Rindern vor dem Wasser schützt. Erst sichern die Helfer mit Felssteinen, die vorsichtshalber am Deich gelagert worden waren. Als das Material ausgeht, stopfen sie die Löcher mit Geröll von der Wasserseite her. Dann, am Sonntag, beginnt das Warten auf Nachschub. "Wir warten händeringend auf Steine, aber es ist kein Durchkommen", sagt Michael Krebs. Seinem Vater gehört der Bauernhof, etwa 700 Meter hinter dem Deich. Er hat die Nacht durchgemacht. Im schlimmsten Fall, sagt Krebs, muss der Hof evakuiert werden. Und wenn das Wasser dann über den kleinen Landesschutzdeich beim Hof treten würde, könnte es Dahme überfluten. "Es wird immer schlimmer, der Wind hat gedreht", sagt sein Vater Hans-Peter. Inzwischen bedroht das Wasser auch einige Häuser direkt am Deich. Auch Dieter Knoll, Vorstand des Wasser- und Bodenverbandes Oldenburg, ist besorgt. "Wir sind am kämpfen." Der Wind weht ihm um die Ohren. An einer etwa drei Meter breiten und fünf Meter tiefen Stelle ist der Deich gestern eingebrochen. "Ich hab bereits einen Notruf abgesetzt", sagt Knoll. Die Straßen nach Dahme müssten endlich freigemacht werden. "Ich hol mir jetzt Steine aus dem Wasser oder sonst woher." Erst am späten Nachmittag hatte das Warten ein Ende: Die Lastwagen mit den Steinen rückten an. Das Sturmtief "Daisy" und extremes Hochwasser haben in Neustadt, Heiligenhafen und anderen Badeorten die Ostsee über die Ufer treten lassen. In Kellenhusen sind Teile der Strandpromenade abgebrochen. Auf Fehmarn hat das Wasser einen Deich auf 25 Meter Länge unterspült. "Wir sind dabei, ihn mit Sandsäcken zu stabilisieren", berichtet der Bürgermeister Otto-Uwe Schmiedt. Das Schneechaos hat die Insel am heftigsten getroffen: "Alle Dörfer sind nach wie vor von der Außenwelt abgeschnitten. Im Moment ist alles erstarrt."Unterdessen kann sich Dieter Eich aus Jarmen, Mecklenburg-Vorpommern, vor Gästen nicht retten. In der Nacht zu Sonntag sind seine fünf Pensionszimmer dank Schneesturm "Daisy" ausgebucht. "Erst klingelte eine junge Familie aus Berlin, die nicht mehr nach Hause kam", berichtet der Wirt. Die Rügen-Urlauber hatten gerade noch rechtzeitig vor den Schneewehen auf der Autobahn A 20 kehrt gemacht und sich ein Quartier für die Nacht gesucht. Weit über 100 Frauen, Männer und Kinder sitzen derweil nicht weit von Eichs Pension in schneesturmumbrausten Autos, Bussen und Lkw auf der Autobahn fest. In bis zu zwei Meter hohen Schneewehen hatten sich Fahrzeuge festgefahren oder quergestellt. Mancher Fahrer ließ den Motor laufen, bis der Tank leer war, um das Innere zu wärmen. Andere krochen in besser geheizten Lkw-Fahrerhäusern mit unter. Helfer von Feuerwehren und Hilfsdiensten versorgten sie mit heißen Getränken und Decken. Am Ende wurden die aus dem Schneechaos befreiten Autofahrer in Schulen, Sporthallen, Rathäusern und Pensionen der umliegenden Kleinstädte untergebracht. Mehrere Landkreise lösten gestern wegen des Schneechaos Katastrophenalarm aus. Meinung

Gefühl der Verunsicherung

Von SZ-RedakteurVolker Meyer zu Tittingdorf Im Alltag ist so vieles selbstverständlich: Die Wohnung ist warm, Strom steht jederzeit zur Verfügung, die Supermarktregale sind immer gefüllt, der Arzt in der zehn Kilometer entfernten Stadt ist im Nu mit dem Auto erreichbar. Schneetief "Daisy" hat vor Augen geführt, wie schnell das gewohnte Leben in unserer Wohlstandsgesellschaft lahmgelegt sein kann. Und wie abhängig wir davon sind, dass die Infrastruktur von der Stromversorgung bis zu den Verkehrssystemen reibungslos funktioniert. Kein Wunder, wenn wir uns verunsichert fühlen. Dies mag erklären, dass auch dort große Aufgeregtheit wegen "Daisy" herrschte, wo das Wintertief bloß wenige Zentimeter Schnee hinterließ.

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