Junckers Revolution

Brüssel · Die neue EU-Kommission wird anders arbeiten als bisher. Jean-Claude Juncker hat Macht und Einfluss verlagert. Neben Günther Oettinger werden auch andere deutsche Politiker weiter an Schlüsselstellen sitzen.

Nach oben will der künftige Kommissionschef Jean-Claude Juncker die Europäische Union führen. Gestern stellte der Luxemburger seine Mannschaft dafür vor – und überraschte dabei. Fotos: dpa (2), Mauritius (1), afp (8)

Nach oben will der künftige Kommissionschef Jean-Claude Juncker die Europäische Union führen. Gestern stellte der Luxemburger seine Mannschaft dafür vor – und überraschte dabei. Fotos: dpa (2), Mauritius (1), afp (8)

Günther Oettinger zeigte sich "glücklich, motiviert und neugierig". Nur knapp eine Stunde, nachdem der künftige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg zum neuen Verantwortlichen für die "digitale Wirtschaft" ernannt hatte, klang so viel Positives doch überraschend. Schließlich war Oettinger zum zweiten Mal bei der Besetzung der prestigeträchtigen Vizepräsidenten-Stühle leer ausgegangen.

Er habe "Tag und Nacht geplant und gearbeitet", ließ Juncker wissen, ehe er gestern Mittag sein Kommissionsteam vorstellte. "Ich wünsche mir eine Europäische Union, die in großen Fragen Größe und Ehrgeiz zeigt und sich in kleinen Fragen durch Zurückhaltung und Bescheidenheit auszeichnet", sagte der 59-jährige Luxemburger. Was er dann vorführte, kommt einer mittleren Revolution gleich, weil Juncker die bisherigen Ressorts nahezu vollständig neu zugeschnitten hat, um "Schubladendenken aufzubrechen", wie er selber sagte. Künftig werden sieben Vizepräsidenten sogenannte "Projektteams" leiten, die beispielsweise für Klimaschutz und Energie, Wirtschaft oder Euro und Soziales zuständig sind. Ihnen sind einzelne Fach-Kommissare unterstellt, die zuarbeiten. Was auf die Tagesordnung des Kollegiums kommt, bestimmt der zuständige Kommissions-Vize. "Das ist die Struktur eines Regierungsapparates", sagte der Chef der CDU-Abgeordneten im Europäischen Parlament, Herbert Reul . Es sei klug, "Dinge wie Klimaschutz und Energie zusammenzuführen".

"Ich bin sicher, dass das ein Superteam ist", betonte Juncker selbst. Dafür krempelte er die bisherige Mannschaftsordnung, in der alle Kommissare gleichberechtigt waren, nicht nur völlig um, sondern ordnete die Arbeitsbereiche auch auf ein Ziel hin aus: Die Länder der EU sollen wirtschaftlich gefördert, innovativer und stabiler werden. "Das ist eine Wirtschaftsregierung", hieß es gestern in Brüssel - auch wenn die Benennung des britischen EU-Kritikers Jonathan Hill zum Mann für die Bankenunion als "schwerer Fehler" kritisiert wurde. Schließlich hatte London sich stets gegen die Vergemeinschaftung gewehrt.

Deutschland kann trotz aller Kritik an Oettingers "Job in der zweiten Reihe" zufrieden sein. Im Machtzentrum der Union stehen nicht wenige Deutsche mit am Steuer. So wird Junckers Kabinett von dem Juristen Martin Selmayr (43) geleitet, der lange als Sprecher der ehemaligen Justizkommissarin Viviane Reding tätig war. Generalsekretär des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs ist der ehemalige Merkel-Berater Uwe Corsepius (54). An der Spitze des Europäischen Parlamentes steht Martin Schulz (58) als Präsident. Klaus Welle (50) leitet als Generalsekretär der Volksvertretung die Geschäfte. Und auch die Führung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ist fest in der Hand des deutschen Di-plomaten Klaus Regling (63).

Juncker selbst sieht seine Rolle übrigens eher zurückhaltend als "großen Koordinator der etwas weniger großen Koordinatoren". Von "präsidialer Führung" wolle er nichts wissen, das "Kollegiale" sei sein Weg. Dann fügte er in seiner verschmitzten Art an: "Ich will in höherem Alter keine Karriere als Diktator beginnen."

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