Jetzt ist Schluss mit der Solidarität
Wiesbaden. Voller Inbrunst begleitet die Ministerriege aus Hessen ihre bayerischen Gäste beim Singen der "Bayern-Hymne". Und auch Horst Seehofers Kabinett stimmt mit Hilfe von Spickzetteln in den Text des "Hessen-Lieds" ein. Vor dem Barockschloss Biebrich, malerisch am Rhein gelegen, spielt das Landespolizeiorchester Hessen
Wiesbaden. Voller Inbrunst begleitet die Ministerriege aus Hessen ihre bayerischen Gäste beim Singen der "Bayern-Hymne". Und auch Horst Seehofers Kabinett stimmt mit Hilfe von Spickzetteln in den Text des "Hessen-Lieds" ein. Vor dem Barockschloss Biebrich, malerisch am Rhein gelegen, spielt das Landespolizeiorchester Hessen. Die reichen Bundesländer demonstrierten gestern in Wiesbaden Harmonie und Entschlossenheit.
Nach der Kabinettssitzung im prunkvollen Rahmen lassen die Landesfürsten Volker Bouffier (CDU) und Horst Seehofer (CSU) keinen Zweifel daran, dass sie nicht länger "Zahlmeister" sein wollen. Im ewigen Streit um den Länderfinanzausgleich rufen sie das Bundesverfassungsgericht an. Als "schlicht unständig" und "größtes Ärgernis" bezeichnen Bouffier und Seehofer das System, gegen das sie in den kommenden vier Wochen in Karlsruhe klagen werden. Vier Professoren haben die Klage schon fast fertiggestellt, auf Schloss Biebrich wird sie nur noch abgesegnet. Dabei waren es pikanterweise Hessen und Bayern, die vor 13 Jahren nach einem ersten Karlsruher Urteil den höchst komplizierten Finanzausgleich unter den Ländern neu ausgehandelt haben. Damals regierten noch Roland Koch und Edmund Stoiber. Der seit 2005 geltende Kompromiss läuft noch bis 2019.
Dass nun beide Länder gegen den selbst mitgestalteten Vertrag klagen, begründet Bouffier mit neuen Ungleichgewichten. Nur noch drei Länder bringen die derzeit 7,9 Milliarden Euro im Topf auf. Baden-Württemberg ist der dritte Einzahler. Fast die Hälfte der Ausgleichsgelder geht in die Bundeshauptstadt Berlin. Außerdem setzt die Schuldenbremse auch die Haushalte der Geberländer unter Druck.
Gerade in Wahlkampfzeiten - in Hessen und Bayern wird im September gewählt - bringt dies die schwarz-gelben Kabinette in München und Wiesbaden in Verlegenheit. Denn anders etwa als in Rheinland-Pfalz oder Berlin ist der Kita-Besuch in Hessen nur zum Teil kostenlos. Jedes Land setze seine eigenen Prioritäten, schallt es den Klägern aus den SPD-regierten Ländern entgegen. Und auch CDU-geführte Länder aus dem Osten wie Thüringen oder Sachsen gehen zum Vorgehen der beiden reichen Länder aus dem Westen auf Distanz.
Die Klage könne zu einem Bumerang werden, warnt die hessische SPD. Bei einer vollen Anrechnung der Kommunen-Einnahmen (statt 64 Prozent - siehe Infokasten) müsste Hessen jährlich 467 Millionen Euro mehr einzahlen. Ähnlich äußerte sich auch das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle.
Mit Baden-Württemberg fehlte der dritte Großzahler in Wiesbaden: Dessen grüner Regierungschef Winfried Kretschmann hält zwar das gegenwärtige System auch für "bescheuert", setzt jedoch auch mit Rücksicht auf seinen Koalitionspartner SPD weiter auf Verhandlungen. Darauf wird es am Ende ohnehin hinauslaufen. Es wird nicht damit gerechnet, dass das Bundesverfassungsgericht konkrete Reformvorschläge macht. Das werden die Richter wie schon früher den Politikern überlassen.
Hintergrund
Finanzstarke Länder helfen schwächeren, um die Lebensverhältnisse in der Republik anzugleichen. Das ist das Ziel des Länderfinanzausgleichs. Allein 2012 wurden so acht Milliarden Euro umverteilt. Berlin war mit 3,3 Milliarden Hauptempfänger, Bayern hingegen musste am meisten einzahlen, nämlich 3,9 Milliarden.
Wie wird man Geber- oder Nehmerland? Im ersten Schritt werden alle Einnahmen eines Landes und 64 Prozent seiner Gemeindeeinnahmen addiert. Das ergibt die Finanzkraft eines Landes. Die wird dann durch die Einwohnerzahl dividiert. Und so erhält man die entscheidende Kennzahl der Berechnung: die Finanzkraft pro Einwohner. Liegt der ermittelte Wert über dem Bundesdurchschnitt, ist ein Land ein Geberland, liegt sie darunter, ist es ein Nehmerland. red