Jäger und Sammler vor Gericht

Berlin/Luxemburg · Im Namen des Kampfes gegen Terror und Kriminalität werden massenhaft Internet- und Telefondaten gehortet. Ist das gerechtfertigt? Der Europäische Gerichtshof sucht nach einer Antwort.

Der amerikanische Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden hat die Europäer nachdenklich gemacht. Auf einmal bekommt auch das langjährige Gerangel um die Vorratsdatenspeicherung neue Wucht. Die EU-Richtlinie dazu steht jetzt vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) auf dem Prüfstand. Deutschland schaut besonders aufmerksam auf das Verfahren. Der Ausgang ist offen.

In der EU müssen Telekommunikationsanbieter seit ein paar Jahren so ziemlich alles auf Vorrat sammeln, was von ihren Kunden beim Telefonieren, Surfen und Mailen anfällt. Diese "Vorratsdatenspeicherung", ohne konkreten Anlass oder Verdacht, soll beim Kampf gegen Terrorismus und schwere Straftaten helfen. Die Daten werden gehortet für den Fall, dass Ermittler sie einmal brauchen.

Das EU-Gesetz gibt es seit 2006, es ist aber sehr umstritten. Befürworter bezeichnen die Bedingungen als unabdingbar, um Kriminalität einzudämmen oder aber vor Terror zu schützen. Kritiker beklagen dagegen einen inakzeptablen Eingriff in die Grundrechte. Sie sprechen von Komplettüberwachung und bezweifeln den Nutzen des Instruments. Auch in Irland und Österreich gibt es Bedenken. Kläger dort wehren sich vor nationalen Gerichten gegen die Vorratsdatenspeicherung. Nun soll der EuGH klären, ob die Regelung gerechtfertigt ist.

Bei der mündlichen Verhandlung gestern in Luxemburg schöpfen die Gegner der Datensammlung Hoffnung. Denn die Richter nehmen die Verteidiger der Vorratsdatenspeicherung mit bohrenden Fragen in die Zange. Zum Beispiel als die Vertreter der österreichische Regierung im Verfahren die Statistik bemühen: Zwischen April 2012 und 2013 griffen die österreichischen Ermittler demnach in 326 Fällen auf Telefon- oder Internetverbindungsdaten zu, wie der Anwalt der Regierung aus Wien vorträgt. 139 dieser Fälle seien abgeschlossen, in 56 davon habe die Speicherung wesentlich zur Aufklärung von Straftaten beigetragen.

Aber was für Fälle waren das? Zum Kampf gegen schwere Kriminalität ist die Datensammlung konzipiert. Bei der Aufzählung aus Österreich ist aber viel Diebstahl und Stalking dabei, schwere Verbrechen oder Terrorverdacht suchen die Richter vergeblich. Sie bohren nach: "Sind Diebstahl und Stalking in Österreich schwere Kriminalität?" Der Anwalt gerät ins Schwimmen. Nun ja, "Terrorismus dezidiert ist hier nicht aufgeschienen", räumt er ein.

In Deutschland gibt es derzeit keine gesetzliche Vorgabe zur Vorratsdatenspeicherung. 2010 kippte das Bundesverfassungsgericht die bis dahin geltende Regelung. Seitdem streiten Union und FDP erbittert. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will die EU-Richtlinie trotz der Debatte über ihre Zulässigkeit umsetzen. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wehrt sich mit aller Kraft dagegen. Sie zweifelt die Verhältnismäßigkeit der bisherigen Regelung an und hofft auf eine Änderung der EU-Richtlinie. Druck kommt aus Brüssel: Die EU-Kommission hat wegen der Verzögerung ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eröffnet.

Unter dem Eindruck von Snowdens Enthüllungen rücken inzwischen selbst einige Unions-Politiker von ihren lauten Rufen nach der Vorratsdatenspeicherung ab. Etwa CSU-Chef Horst Seehofer, der im September eine Landtagswahl zu bestreiten hat. Alles blickt nun auf Luxemburg. Mit einer schnellen Entscheidung ist aber nicht zu rechnen, ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet.

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HintergrundEin EU-Gesetz aus dem Jahr 2006 legt fest, dass die Telekommunikationsunternehmen in Europa Verbindungsdaten zu Telefonaten oder E-Mails aufbewahren. Dies sind Name und Anschrift sowie Rufnummer, Uhrzeit, Datum und Dauer einer Telefonverbindung - bei Handys auch der Standort zu Gesprächsbeginn. Auch Verbindungsdaten zu SMS, Internet-Nutzung und E-Mails sollen die Firmen aufbewahren. Den Inhalt der Gespräche oder der E-Mails speichern die Telekommunikationsunternehmen nicht. dpa

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