Ja oder Nein? Europäisches Saarstatut spaltet das Land

Saarbrücken. "Ein Pole wird Papst Johannes Paul II" - diese Schlagzeile prangt am 17. Oktober 1978 groß auf dem Titelblatt der Saarbrücker Zeitung. Nach 455 Jahren wird zum ersten Mal ein Nichtitaliener Oberhaupt der katholischen Kirche: Karol Wojtyla, Erzbischof von Krakau

 Eine kirchenpolitische Sensation: Der Pole Karol Wojtyla wird Papst Johannes Paul II. Foto: dpa

Eine kirchenpolitische Sensation: Der Pole Karol Wojtyla wird Papst Johannes Paul II. Foto: dpa

Saarbrücken. "Ein Pole wird Papst Johannes Paul II" - diese Schlagzeile prangt am 17. Oktober 1978 groß auf dem Titelblatt der Saarbrücker Zeitung. Nach 455 Jahren wird zum ersten Mal ein Nichtitaliener Oberhaupt der katholischen Kirche: Karol Wojtyla, Erzbischof von Krakau. Dazu kommentiert Joachim Widera, politischer Redakteur der SZ: "Die kirchenpolitische Sensation ist perfekt."22 Jahre zuvor ist der 17. Oktober 1946 ebenfalls ein einschneidender historischer Tag. "Das Nürnberger Urteil vollstreckt. Zehn Kriegsverbrecher enden am Strang. Hermann Göring verübt Selbstmord", heißt es auf der Titelseite. Die Verurteilten sind einen Tag zuvor hingerichtet worden. "Das Schicksal ist gerecht. Die in Nürnberg zum Tode Verurteilten erlitten den schmachvollen Tod, den Hitler und seine rasende Verbrecherbande so vielen ehrlichen Menschen bereitete", kommentiert die SZ. "Der Name Nürnberg soll auf ewige Zeit für die Gesellschaft Warnung und Mahnung sein."

Einer der wohl wichtigsten Daten in der Geschichte des Saarlandes dürfte jedoch der 23. Oktober 1955 sein. An diesem Tag lehnt das Volk per Abstimmung das Europäische Saarstatut ab. Zwar wird dies erst in der Ausgabe vom 24. Oktober 1955 gemeldet, aber schon die Berichte in der Woche zuvor machen deutlich, wie sehr die Debatte die Saarländer bewegt hat. Die Befürworter des Saarstatuts werben sogar mit großflächigen Anzeigen für ihre Position. Etwa die saarländischen Bergleute mit dem Anzeigentext: "Die Saargruben in die Hand von Saarländern! Ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten für jeden saarländischen Bergmann. Darum kann es am 23. Oktober nur eines geben: Ja!". Die "Europabewegung des Saarlandes" schreibt: "Christliches Gewissen und Deutsche Verantwortung verlangen von uns Ja zum Saar-Statut" und formuliert später etwas schärfer: "Wer das Saar-Statut ablehnt, verrät den deutschen Bundeskanzler. Nur Verräter an Europa sagen Nein." Es wird hitzig. Die SZ berichtet am 15. Oktober in eigener Sache, "der Deutsche Heimatbund wirft der SZ vor, Leserbriefe zu fälschen". In derselben Ausgabe wird von der Angst der neuen Pro-Deutschland-Partei vor Anschluss des Saarlandes an Frankreich berichtet. Zitiert wird sie mit dem Satz: "Wir wollen keine Franzosen sein."

Ein Leser beschreibt in einem Brief die Stimmung, die im Land herrscht. "Wir sind halt wieder soweit. Terror ist Trumpf. Wer als Ja-Sager vermutet wird, ist in den Augen lächerlicher Fanatiker kein Deutscher mehr." Der Begriff Terror fällt auch, als davon berichtet wird, dass Anhänger der neuen Pro-Deutschland Partei eine Wahlveranstaltung des Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann gestört haben.

Längst hat sich das Land in zwei Fraktionen gespalten. Die SZ kommentiert: "Wir sollen zu dem Saarstatut Ja oder Nein sagen und weiter nichts. Man will von uns nicht wissen, ob wir zu Deutschland oder Frankreich wollen oder ob uns eine andere Regierung lieber wäre. Diese beiden Fragen sind späteren Entscheidungen vorbehalten." Claus Becker aus der Redaktion schreibt von der "Hoffnung, die Bevölkerung an der Saar werde mutig und entschlossen mit großer Mehrheit das Statut annehmen, da eine Ablehnung die deutsch-französischen Beziehungen schwerstens erschüttern und allen europäischen Einigungsbestrebungen einen ersten Rückschlag versetzen würde." Dennoch: 67,7 Prozent der Bevölkerung lehnen das Saarstatut ab.

Was in der Woche vom 17. bis 23. Oktober noch geschah:

21. Oktober 1879: Thomas Edisons erste markttaugliche Glühlampe besteht einen Dauertest von über 40 Stunden im Menlo- Park-Labor von New Jersey.

17. Oktober 1956: In der "Partie des Jahrhunderts" im Schach besiegt der 13-jährige Bobby Fischer den anerkannten Meister Donald Byrne in der achten Runde des Rosenwald-Memorial-Turniers in New York.

18. Oktober 1977: Deutscher Herbst. GSG9-Einheiten stürmen in Mogadischu die entführte Lufthansa-Maschine Landshut; Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer wird als Reaktion auf die Stürmung der Landshut von der RAF ermordet; in der Todesnacht von Stammheim begehen die RAF-Häftlinge Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe Selbstmord.

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