Israel wehrt sich gegen Welle der Entrüstung

Tel Aviv. Israel steht nach dem tödlichen Angriff auf die internationale Gaza-"Solidaritätsflotte" vor einem diplomatischen Scherbenhaufen. Angesichts der Woge einhelliger weltweiter Verurteilungen sieht sich der jüdische Staat wieder einmal in der Defensive und in der Rolle des Pariah-Staates

Tel Aviv. Israel steht nach dem tödlichen Angriff auf die internationale Gaza-"Solidaritätsflotte" vor einem diplomatischen Scherbenhaufen. Angesichts der Woge einhelliger weltweiter Verurteilungen sieht sich der jüdische Staat wieder einmal in der Defensive und in der Rolle des Pariah-Staates. "Es ist eine absolute Katastrophe für Israel", sagte Avi Primor, ehemaliger Botschafter in Deutschland, gestern. Die im blockierten Gazastreifen herrschende Hamas profitiere hingegen von dem Fiasko auf hoher See. Israel ist nun mit einem diplomatischen Nachbeben konfrontiert, mit möglicherweise weitreichenden politischen Konsequenzen. Die Tatsache, dass noch zwei weitere Hilfsschiffe unterwegs nach Gaza sind, nährt die Sorge vor einer weiteren gefährlichen Konfrontation. Für politischen Zündstoff sorgt auch die Inhaftierung von mehr als 600 der insgesamt 700 pro-palästinensischen Aktivisten in einem Gefängnis in der Negev-Wüste - eine in dieser Dimension nie da gewesene Aktion. Ein Sprecher der israelischen Regierung teilte am Dienstagabend mit, dass die Aktivisten binnen 48 Stunden ausgewiesen werden. Sobald die Freigelassenen öffentlich ihre Version der Vorfälle schildern können, ist mit einer neuen Welle der Verurteilungen aus aller Welt zu rechnen. In israelischen Medien war das Echo auf den folgenschweren Vorfall gestern geteilt: Einige Kommentatoren beschrieben die Stürmung der sechs Schiffe, die die Gaza-Blockade trotz israelischer Warnungen durchbrechen wollten, als rechtmäßig. Andere verurteilten den Einsatz - noch dazu in internationalen Gewässern - als kurzsichtige militärische und politische Torheit. In Anbetracht der katastrophalen diplomatischen Auswirkungen gab es auch Forderungen an den israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak, zurückzutreten. "Kein Besen ist breit genug, um diesen Misserfolg unter den Teppich zu kehren", meinte ein Kommentator der Zeitung "Jediot Achronot". Das Mitleid für die pro-palästinensischen Aktivisten auf der türkischen "Mavi Marmara", von denen mindestens neun getötet wurden, hält sich in Grenzen. Die meisten Israelis sehen sie als Provokateure und Helfershelfer der radikal-islamischen Hamas, die selbst Schuld an dem Blutvergießen tragen. Israel wehrt sich indessen mit der Veröffentlichung eines Videos vom Angriff gegen die weltweiten Entrüstungsstürme. Darauf ist nach israelischen Angaben zu sehen, wie die Aktivisten an Bord der "Mavi Marmara" auf israelische Soldaten einprügeln, die sich zuvor aus Hubschraubern an Deck abgeseilt hatten. Israel sieht keinerlei Grund für eine Entschuldigung. "Wir müssen uns nicht dafür entschuldigen, dass wir uns selbst verteidigt haben", sagte Vizeaußenminister Danny Ajalon (Foto: afp) nach Angaben seines Büros in Jerusalem. Ajalon bezeichnete die "Gaza-Solidaritätsflotte" als eine "Armada des Hasses und der Gewalt". Sie sei nur ein Beispiel für die "ständigen Provokationen, denen Israel ausgesetzt" sei. Vize-Verteidigungsminister Matan Wilnai betonte, man werde jeden weiteren Versuch stoppen, die Seeblockade zum Gazastreifen zu durchbrechen. "Wir erlauben es Booten nicht, nach Gaza zu fahren, und die dort entstandene Terroristenbasis zu versorgen, die das Herz Israels bedroht", sagte er im staatlichen Rundfunk. Wie häufig bei internationaler Kritik am Vorgehen ihres Staates reagieren viele Israelis, die sich während des jahrelangen Konflikts in der Region eine Wagenburgmentalität angewöhnt haben, mit Trotz. "Die Türken wollen keine Beziehungen mehr mit uns? Sollen sie zur Hölle fahren", meint die 55-jährige Chana Kaduri aus Tel Aviv. "Sie sollten einmal versuchen, hier zu leben, dann wüssten sie, wie es sich anfühlt", sagt sie - und erklärt mit einer wegwerfenden Handbewegung: "Es sind doch sowieso alle automatisch gegen uns." dpa/afp "Wir müssen uns nicht dafür entschuldigen, dass wir uns verteidigt haben."Danny Ajalon,VizeaußenministerIsraels

HintergrundDie beiden Linke-Bundestagsabgeordneten Annette Groth und Inge Höger sind nach der Kommandoaktion der israelischen Armee gegen einen internationalen Hilfskonvoi wieder in Deutschland. Sie erhoben schwere Vorwürfe gegen Israel. "Wir haben uns wie im Krieg gefühlt", sagte Höger. "Wir konnten nur zurückkommen, weil wir Abgeordnete sind." Zusammen mit Höger und Groth kehrten drei weitere Deutsche zurück, die sich an der "Solidaritätsflotte" für den Gazastreifen beteiligt hatten. Dazu gehört auch der ehemalige Linke-Abgeordnete Norman Paech. afp

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