Ironie oder Entgleisung?

Berlin · Peer Steinbrück zeigt in einem wortlosen Interview den Mittelfinger – und zwar seinen Kritikern. Die melden sich prompt zu Wort. Und finden: So etwas geht nicht für einen Kanzlerkandidaten. Die Genossen hingegen jubeln.

 Der Stein(brück) des Anstoßes: Das Titelblatt des „Süddeutsche“-Magazins. Foto: Alfred Steffen/SZ-Magazin

Der Stein(brück) des Anstoßes: Das Titelblatt des „Süddeutsche“-Magazins. Foto: Alfred Steffen/SZ-Magazin

Foto: Alfred Steffen/SZ-Magazin

Peer Steinbrück dürfte sich gestern in seinem eher speziellen Humor bestätigt gefühlt haben. Als der SPD-Kanzlerkandidat aus München kommend auf dem Köln/Bonner Flughafen landete, hielten ihm zwei Passanten das "SZ-Magazin" mit der Bitte um ein Autogramm entgegen. Kurz darauf, in Monheim, konnte Steinbrücks Sprecher Rolf Kleine über eine weitere Sympathie-Bekundung für den Merkel-Herausforderer berichten. Als sich Steinbrück kurz vor einer Podiumsdiskussion noch in ein Straßencafé setzte, kam ein Radfahrer vorbei, grüßte ihn mit dem "Stinkefinger" und den Worten "einfach cool".

So viel Zuspruch war dem Oberwahlkämpfer der SPD bislang nur nach seinem TV-Duell mit der Kanzlerin zuteil geworden. Nun, acht Tage vor der Bundestagswahl, sorgt er mit "ironisch" gemeinten Fotos für Furore. Das aktuelle Magazin der "Süddeutschen Zeitung" hat unter seiner traditionellen Rubrik "Sagen Sie jetzt nichts" eine Bilderstrecke veröffentlicht, in der der Kandidat nur mit Gebärden und Grimassen auf konkrete Fragen antwortet. Zum Beispiel die, ob es an ihm liegt, dass die SPD derzeit nur auf 26 Prozent der Stimmen kommt. Dazu macht Steinbrück ein Gesicht, als habe er rein gar nichts damit zu tun.

Oder, welche Botschaft er für FDP-Chef Philipp Rösler hat - da schmeißt sich Steinbrück förmlich weg vor Lachen. Aber eben auch diese Frage wird gestellt: "Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi - um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?" Da ist für den in den Medien oft geschmähten Steinbrück scheinbar Schluss mit lustig: Finster dreinblickend reckt er den "Stinkefinger" nach oben. Die Magazin-Macher fanden die Geste so toll, dass sie das Foto auch gleich noch aufs Titelblatt hoben. Umso heftiger wurde gestern darüber im politischen Berlin diskutiert.

Das sei doch "genau das Gegenbild zu Merkel", hieß es anerkennend in der SPD. Ganz nach dem Motto: "Klare Kante, der traut sich was." Mancher Genosse erinnerte auch an die "Merkel-Raute", also die typische Fingerpose der Kanzlerin, die nach ihrer eigenen Auskunft "nichts" zu bedeuten habe. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier meinte nur: "Ich finde, die Ironie in dem Bild ist klar erkennbar."

Gleichwohl sollte nicht vergessen werden, dass die SPD mit provokanten Bildern ihrer führenden Persönlichkeiten eher schlechte Erfahrungen gemacht hat. Erinnert sei nur an die "Plansch"-Fotos des einstigen Verteidigungsministers Rudolf Scharping und seiner Lebensgefährtin, Gräfin Pilati, die ihn das Amt gekostet hatten. Oder an die Zurschaustellung von dicken Zigarren und teuren Edel-Anzügen durch den früheren Kanzler Gerhard Schröder, was der sozialdemokratischen Polit-Philosophie bis heute eher abträglich ist.

Für den politischen Gegner stand ohnehin fest, dass Kanzlerkandidat und Mittelfinger völlig unvereinbar sind. Die Geste verbiete sich. "So etwas geht nicht", meinte FDP-Mann Rösler. Da waren die ersten Meldungen über Steinbrücks Ausflug in die Pantomime aufgetaucht. Derweil versuchte es Unionsfraktionschef Volker Kauder ebenfalls mit einem Anflug von Ironie: Die Bürger könnten sich nun "erneut ein Bild vom Kandidaten machen". Linken-Chef Bernd Riexinger fuhr schweres Geschütz auf und sah das "offizielle Ende" von Steinbrücks Kandidatendasein besiegelt. Auch der Politikberater Michael Spreng - er managte 2002 den Wahlkampf für Unionskandidat Edmund Stoiber - ging mit Steinbrück hart ins Gericht. Die Fotos seien ein "Fehler". Sie hätten "kein Kanzlerformat". Das sei auch "kein Witz, sondern eine Entgleisung". Obendrein könnten die Bilder - in einem anderen Kontext verwendet - viel Schaden anrichten.

Bleibt noch zu klären, wie die Bundeskanzlerin auf den "Stinkefinger" ihres Herausforderers reagierte. Über ihren Sprecher ließ sie ausrichten: "Ich habe dazu keine Worte."

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Hintergrund Die "Stinkefinger"-Geste geht zurück auf die Antike. "Es ist eine eindeutig sexualisierte Geste, ein Phallussymbol als Drohgebärde", sagt der Rhetorik-Experte Alexander Baur von der Uni Tübingen. Im alten Rom sei der ausgestreckte Mittelfinger auch eine Bestrafungs- und Demütigungsgeste gewesen. "Das war damals sehr unangenehm, weil es um den Finger im Hintern als Demütigung ging", sagt Baur. "Aber das hat sich natürlich mittlerweile überlebt." Inzwischen sei der Stinkefinger, der es 1996 in den Duden schaffte, eine internationale Geste. Aber Achtung: Als Beleidigung etwa im Straßenverkehr kostet sie laut ADAC bis zu 4000 Euro. dpa

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