Irak versinkt erneut in Gewalt

Kairo. Dass der Irak nach dem Abzug der US-Truppen wirklich zur Ruhe kommt, hat kein Beobachter erwartet, doch mit dieser Welle der Gewalt gestern und vorgestern hatte niemand gerechnet. Bei koordinierten Anschlägen in 13 Städten des Landes wurden mehr als 100 Menschen getötet. Es ist das schlimmste Blutbad seit dem endgültigen Abzug der US-Truppen im Dezember 2011

 Irakische Soldaten sicherten gestern nach einem Attentat Sadr City, einen Stadtteil von Bagdad. Foto: Abbas/dpa

Irakische Soldaten sicherten gestern nach einem Attentat Sadr City, einen Stadtteil von Bagdad. Foto: Abbas/dpa

Kairo. Dass der Irak nach dem Abzug der US-Truppen wirklich zur Ruhe kommt, hat kein Beobachter erwartet, doch mit dieser Welle der Gewalt gestern und vorgestern hatte niemand gerechnet. Bei koordinierten Anschlägen in 13 Städten des Landes wurden mehr als 100 Menschen getötet. Es ist das schlimmste Blutbad seit dem endgültigen Abzug der US-Truppen im Dezember 2011. Der "Islamische Staat des Iraks", ein Zweig der Al Qaida, der zwischen 2005 und 2007 durch seine Gewalttaten das Land an den Rand des Bürgerkrieges getrieben hatte, bekannte sich zu den Anschlägen, die tatsächlich die Handschrift dieser sunnitischen Extremisten tragen. Opfer sind vor allem Angehörige der irakischen Sicherheitskräfte, der Polizei und Zivilisten.Vor wenigen Tagen hatte Al Qaida eine neue "Offensive" angekündigt und die Entschlossenheit, sich in jenen überwiegend arabisch-sunnitischen Gebieten des Iraks neu zu organisieren, aus denen sie die US-Truppen in Kooperation mit lokalen sunnitischen Stammesangehörigen verjagt hatten. Als künftige Hauptziele der Gewalt nannte der Sprecher Justizbeamte und Gefängnisse, um zahllose Gesinnungsgenossen zu befreien. Die größte Sorge für die Zeit nach dem Abzug der US-Truppen galt der Schlagkraft der neu gebildeten irakischen Sicherheitskräfte. Die Attentate vom Sonntag und Montag beweisen nun, dass Al Qaida durchaus in der Lage ist, Chaos im Irak zu verbreiten. Und Chaos ist ihr Hauptziel, um ein islamisches "Kalifat" zu schaffen.

Wie stark der "Islamische Staat des Irak" heute tatsächlich ist und ob auch andere Extremistengruppen an diesem Terror beteiligt sind, bleibt Spekulation. Tatsache ist jedoch, dass sich die Terroristen das Sicherheitsvakuum und die schwere politische Krise, die den Irak seit mehr als zwei Jahren politisch vollends lähmen, für ihre Ziele zunutze machen. Ein halbes Jahr nach Abzug der US-Besatzungstruppen verstärken sich tatsächlich alarmierende Signale, dass das von einem der brutalsten Diktatoren des 20. Jahrhunderts befreite Zweistromland auf dem Weg zu einem "gescheiterten Staat" voranschreitet. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Schwere Mängel in der politischen Struktur des neuen Iraks wurden in den "guten Jahren" von 2007 bis 2008 nicht behoben. So bleiben bis heute entscheidende Fragen über die Struktur des Staates oder die Verteilung der Ölerträge ungelöst. Vor allem aber wurde der so dringend benötigte nationale Versöhnungsprozess nicht eingeleitet, weder zur Vergangenheitsbewältigung, noch um Marginalisierungsängste der sunnitischen Minderheit zu zerstreuen.

In den vergangenen Monaten tat der Schiitenpremier Maliki hingegen alles, um die arabischen Sunniten aus dem politischen Prozess auszuschalten, sich der Mitsprache ihrer einflussreichen Führer zu entledigen. Höhepunkt dieser Kampagne war der im Dezember erlassene Haftbefehl gegen Vizepräsident Tarek al-Hashemi wegen angeblicher Anstiftung zum Terror und die Flucht Hashemi nach Kurdistan und schließlich in die Türkei. Insbesondere quält Sunniten wie Schiiten und Kurden, dass Maliki keines der Versprechen zur Machtteilung, das ihm vor einem Jahr das Premierministeramt gesichert hatte, erfüllt hat. Immer noch führt Maliki selbst die für die interne Sicherheit zuständigen Ministerien und schreitet damit bedrohlich auf dem Weg zu einem neuen Diktator voran. Versuche, ihn durch ein Misstrauensvotum abzusetzen, sind gescheitert. Das Land ist politisch gelähmt, die Infrastruktur liegt darnieder, die Kluft zwischen neuen Reichen und der Masse der Armen klafft immer weiter, während die Korruption neue Blüten treibt. In dieser Situation finden Extremisten neue Anhänger.

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