Internet-Nutzer dürfen Identität verschleiern

Karlsruhe · Werden online falsche Behauptungen verbreitet, gibt es keinen Anspruch, den Verfasser namhaft zu machen, hat der BGH entschieden. Kritiker sprechen vom Türöffner für Pöbler – andere vom Sieg der Meinungsfreiheit.

Ehrliche Empörung bewegte den Hausarzt aus Schwäbisch Gmünd: "Es darf nicht sein, dass jemand derartige Vorwürfe erhebt, ohne seine Identität preiszugeben." Jemand hatte auf dem hessischen Bewertungsportal Sanego unwahre Kritik über den Arzt verbreitet. Der wollte gegen den anonymen Störenfried vorgehen. Doch er muss eine Niederlage einstecken. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe gab gestern dem Internetdienst Sanego Recht. Das Bewertungsportal muss dem Mediziner nicht den Namen und die Anschrift des Nutzers geben, dessen Kommentar den Arzt so empört hat.

Patientenakten seien in den Behandlungsräumen in Wäschekörben gelagert worden. Es gebe lange Wartezeiten. Folgetermine seien nicht zeitnah möglich. Und der Arzt habe eine Schilddrüsenüberfunktion nicht erkannt. So äußerte sich der anonyme Sanego-Nutzer im November 2011. Nach einer Beschwerde nahm Sanego den Kommentar aus dem Netz - aber im Juni 2012 stand es wieder so auf der Seite. Obwohl es sich nach richterlichem Befund um unwahre Tatsachenbehauptungen handelte.

Online-Foren sind voll von solchen Behauptungen, nicht nur bei der Bewertung von Ärzten, Hotels oder Produkten, sondern auch in Diskussionsforen auf Medien-Webseiten. "In unserer Praxis haben wir erhebliche Probleme mit Beschimpfungen im Internet ", klagt der Kölner Rechtsanwalt Dominik Eickemeier. "Ich hatte deswegen auf eine andere Entscheidung gehofft."

Der VI. Zivilsenat korrigierte mit seiner Entscheidung das Oberlandesgericht Stuttgart , das im vergangenen Jahr einen Auskunftsanspruch des Arztes bestätigt hatte. Denn das Telemediengesetz von 2007, das Internetdiensten die Möglichkeit der anonymen oder pseudonymen Nutzung vorschreibt, sieht Ausnahmen für die Strafverfolgung vor. Online-Portale müssen dann die Nutzerdaten einem ermittelnden Staatsanwalt übergeben. Eine juristische Handhabe gibt es auch bei Verstößen gegen das Urheberrecht - wenn etwa online geschützte Musikdateien getauscht werden. Dann kann ein Gericht die Herausgabe von Nutzerinformationen anordnen.

Mit der BGH-Entscheidung werde nun "eine Tür geöffnet, damit unwahre Tatsachenbehauptungen und negative Meinungsäußerungen verstärkt verbreitet werden", sagt Rechtsanwalt Eickemeier. Der Mainzer Sanego-Anwalt Jens Gmerek widerspricht: Er denke nicht, dass es jetzt vermehrt zu Pöbeleien im Internet kommen werde. Bei abträglichen Kommentaren in Bewertungsportalen sei die gezielte Kommunikation im Netz besser als der Gang zum Anwalt. "Die Anonymität ist keine Besonderheit im Internet - sie soll die Freiheit, die im wirklichen Leben existiert, auch dort herstellen, wo sämtliche Schritte nachvollzogen werden können." Auch der Berliner Medienrechtsanwalt Johannes von Rüden begrüßt die Entscheidung als Stärkung der anonymen Meinungsäußerungsfreiheit im Internet : "Viele trauen sich nur unter dem Schutz der Anonymität, ihre Meinung öffentlich kundzutun und sich so an der öffentlichen Meinungsbildung zu beteiligen." Doch die Meinungsfreiheit hat Grenzen. Bei der mündlichen Verhandlung vor einem Monat betonte BGH-Anwalt Matthias Siegmann als Vertreter des Arztes, wer einen Online-Dienst nur dazu verwende, um falsche Tatsachen zu verbreiten, dürfe nicht anonym bleiben. "Wenn wir nicht im Internet wären, wäre der Anspruch völlig eindeutig."

Ähnlich kontrovers wie die Juristen diskutierten auch Internet-Nutzer über die Karlsruher Entscheidung. "Geil, BGH schützt anonymen Pöbler", twitterte der Berliner Piraten-Abgeordnete Christopher Lauer. Andere schrieben, das Urteile werde vor allem die "Trolle" freuen - so werden im Netz Leute genannt, die eine Diskussionsprozess mit destruktiven Beiträgen lahmlegen wollen.

Leicht gemacht hat es sich der BGH nicht. Nach der Verhandlung nahm sich der Senat vier Wochen Zeit - um nach den Worten des Vorsitzenden Richters Gregor Galke unter anderem zu prüfen, ob es sich bei der Gestaltung des Telemediengesetzes um ein Versehen des Gesetzgebers gehandelt habe. "Das war nicht der Fall", stellte Galke fest und schloss daraus: "Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist zu respektieren."

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