"In Wirklichkeit war das ein Nein zum Islam"

Genf. Grau spannt sich der November-Himmel über die Moschee in Genf. Weit hinten funkelt der erste Schnee auf dem Jura-Gebirge. Das Minarett ragt rund 20 Meter in die Höhe. Rund um das islamische Gotteshaus versammeln sich die Gläubigen, sie kommen zum Gebet. Im Inneren der Moschee bedeckt Marmor Boden und Säulen

Genf. Grau spannt sich der November-Himmel über die Moschee in Genf. Weit hinten funkelt der erste Schnee auf dem Jura-Gebirge. Das Minarett ragt rund 20 Meter in die Höhe. Rund um das islamische Gotteshaus versammeln sich die Gläubigen, sie kommen zum Gebet.Im Inneren der Moschee bedeckt Marmor Boden und Säulen. Die Gläubigen ziehen ihre Schuhe aus, verstauen sie in Regalen, eilen in den Gebetsraum. Vor rund 200 Männern erhebt sich der Imam von Genf, der Marokkaner Youssef Ibram (56) und spricht in Französisch und Arabisch zu ihnen. Um Punkt drei Uhr endet das Gebet. Der Imam gibt noch Anweisungen, dann wendet er sich dem großen Thema der rund 400 000 Schweizer Muslime zu: "Es war ein Schock, als wir das Ergebnis der Anti-Minarett-Initiative erfuhren", sagt der Nordafrikaner in Deutsch.

Die Anti-Minarett-Initiative: Vor einem Jahr, am 29. November 2009, votierten rund 57 Prozent der Schweizer in einer Volksabstimmung für ein Bauverbot für Minarette. Seitdem dürfen die Muslime in der Schweiz keine der schlanken Türme mehr an ihren Moscheen errichten. In Zürich, Genf, Winterthur und Wangen bei Olten standen bereits Minarette.

Weltweite Schlagzeilen

Das Nein katapultierte die kleine Schweiz tagelang in die internationalen Schlagzeilen. In muslimischen Staaten wurden Boykott-Aufrufe gegen Helvetiens Wirtschaft laut. Im Frühjahr 2010 handelte sich die Schweiz auch noch eine Rüge des UN-Menschenrechtsrates ein.

Auch viele Eidgenossen reagierten entsetzt: "Es herrscht eine Pogromstimmung gegen Muslime", warnte der Genfer Soziologe Jean Ziegler. Der Historiker Urs Altermatt aus dem Schweizer Freiburg fürchtete einen "Kulturkampf" heraufziehen. Auch christliche Kirchen und die meisten Parteien lehnten das Bauverbot entschieden ab. Liberale Schweizer äußerten in Internetforen ihre "Scham" und "Betroffenheit". Hat das klare Votum gegen die Genehmigung neuer Minarette das Leben der Schweizer Muslime geändert? "Unsere Lage hat sich verschlechtert", sagt der Imam von Genf. "Das Nein zu den Minaretten war in Wirklichkeit ein Nein zum Islam", urteilt er und zieht sein hellbraunes Gewand gerade. Das Ergebnis der Volksabstimmung habe den Muslimen in der Schweiz klar gemacht: "Ihr seid nicht wirklich willkommen in diesem Land". Bei der Stellensuche habe man es als Ali, Mustafa oder Fatima jetzt noch schwerer als vorher.

Auch die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus, eingesetzt vom Schweizer Bundesrat, stellt klar: Das Minarettverbot hat eine starke Verunsicherung unter Muslimen ausgelöst. "Muslime fühlen sich jetzt stärker ausgegrenzt", erklärt Doris Angst von der Kommission. Frauen, die ein Kopftuch tragen, müssten beispielsweise häufiger unangenehme Kommentare erdulden.

Auch die aggressive Kampagne der rechtsnationalen Minarettgegner im vergangenen Jahr hat die Beklommenheit der Muslime verschärft. Die Minarette, so tönten die Befürworter des Verbots, seien erst der Anfang. Der Schweiz drohe eine Islamisierung: Burka, Steinigung und Beschneidung von Frauen und das Rechtssystem der Scharia.

Immerhin: Gewalttätige Übergriffe gegen Angehörige der religiösen Minderheit registrierte die Anti-Rassismus-Kommission in dem Jahr seit der Volksabstimmung nicht. Der Imam von Genf betont auch die kantonalen Unterschiede: Genf etwa votierte gegen das Bauverbot. "Genf ist eine weltoffene, internationale Stadt, die seit Jahrhunderten Fremde und Flüchtlinge aufnimmt", erklärt der islamische Geistliche.

Schlechte Integration

In den meisten ländlichen Kantonen der Innerschweiz wie Uri oder Schwyz aber votierten überwältigende Mehrheiten für das Bauverbot. "In diesen Regionen steht keine einzige Moschee, kein einziges Minarett", sagt der Imam mit einem heftigen Kopfschütteln. Kann der Imam erklären, warum so viele Schweizer den Islam ablehnen? "Ein Grund ist sicher, dass einige unserer Glaubensbrüder sich nicht richtig integrieren", räumt er ein.

Durch das Glasdach der Moschee dringt jetzt die Sonne ein. Und dann spricht er noch über die Gewalt und den Terror, die viele Europäer mit dem Islam verbinden. "Wir sind aber nicht verantwortlich für Bin Laden, wir sind nicht verantwortlich für Al Qaida, wir sind nicht verantwortlich für die Taliban in Afghanistan, wir sind nicht verantwortlich für das was in Pakistan passiert, wir sind nur verantwortlich für uns", sagt der Imam. epd

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