In seiner Welt

Berlin · Wie dachte Helmut Kohl über politische Weggefährten? Sein ehemaliger Ghostwriter macht pikante Äußerungen von 2001/2002 publik. Dabei ist der Umgang mit dem Nachlass des Altkanzlers ohnehin schwierig.

Einige der "Verräter", wie Helmut Kohl sie bezeichnet, mischen immer noch mit. Heiner Geißler zum Beispiel, von 1977 bis 1989 CDU-Generalsekretär, hat sich vor vier Jahren als Schlichter beim Streit um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 in Erinnerung gebracht. Auch Norbert Blüm , unter Kohl Arbeitsminister, ist nach wie vor ein gern gesehener Gast in Talkshows. Angesprochen auf Kohls Attacken antwortet der 84-Jährige Geißler am Telefon: "Dazu sage ich nichts." Um noch anzumerken: "Das ist unter meinem Niveau." Blüm, 79 Jahre alt, reagiert ähnlich: "Ich muss nicht auf alles antworten." Aber auch ihm rutscht ein Satz spöttisch hinterher: "In der Gewichtsklasse boxe ich nicht." Ein Helmut Kohl schon.

Der Altkanzler hält die Republik wieder in Atem. Er, der Mann der Wiedervereinigung, inzwischen 84 Jahre alt und nach einem schweren Sturz an den Rollstuhl gefesselt, hat zwischen 2001 und 2002 seinem Ghostwriter Heribert Schwan Rede und Antwort gestanden. Um die 200 Tonbänder tobt ein Rechtsstreit. Schwan hat sie trotzdem für ein Buch ausgewertet. Es soll heute in Berlin vorgestellt werden.

In den stundenlangen Gesprächen rechnet Kohl übel ab mit politischen Wegbegleitern, die für ihn zu Feinden wurden. Mit Blüm, Geißler, Wolfgang Schäuble , mit all denen, die ihn während der CDU-Spendenaffäre fallen ließen. Oder die beim Bremer Parteitag 1989 vergeblich versuchten, gegen die Walz' aus der Pfalz zu putschen. Auch Angela Merkel bekommt ihr Fett weg: "Frau Merkel konnte ja nicht richtig mit Messer und Gabel essen", wird Kohl zitiert. Regierungssprecher Steffen Seibert reagierte darauf gestern mit sichtbarem Unbehagen: "Das ist nichts, was die Arbeit der Bundesregierung berührt." Doch zur Kenntnis genommen haben wird die Kanzlerin die Worte des früheren CDU-Pa-triarchen sicherlich. Er holte die Ostdeutsche 1991 in sein Kabinett; als Generalsekretärin setzte sie ihm auf dem Höhepunkt der CDU-Spendenaffäre 1999 den Stuhl vor die Parteitür. Ein Kohl vergisst so etwas nicht.

Altersmilde ist der Pfälzer nicht geworden, diese Tugend hat in seiner Welt keinen Platz. Er kennt nur Freunde - oder Feinde. Zwar gibt es immer mal wieder schöne Bilder von ihm und Merkel. 2012 zum Beispiel, als die CDU mit großem Tamtam den Beginn der Kanzlerschaft Kohls 30 Jahre zuvor feierte, die dann 16 Jahre andauerte. Doch wenn sich der Oggersheimer mal zu Wort meldet, dann meist mit kritischen Stellungnahmen zu Merkels Politik in seinem Hofblatt "Bild". Wobei viele Beobachter der Meinung sind, dass sich nicht mehr Kohl, sondern seine zweite Ehefrau Maike Kohl-Richter für die raren, politischen Ergüsse verantwortlich zeichnet. Der 50-Jährigen wird schon lange unterstellt, sie wolle das politische Erbe des Pfälzers an sich ziehen und die Deutungshoheit über seine Leistungen fest in ihren Händen halten. Seit geraumer Zeit schwelt ein Streit darüber, wer einmal die Akten Helmut Kohls verwalten soll.

Als strenge Hüterin über den Zugang zum einstigen Kanzler ist Ehefrau Maike ohnehin oft beschrieben worden, über ihre Motivation wurde viel gerätselt. Liebe? Nähe zur Macht? Mitleid? Kohls Sohn Walter hat mehrfach darüber berichtet, wie zerrüttet das Familienleben vor allem seit dem Selbstmord von Mutter Hannelore ist. Der Kontakt zum Vater besteht nicht mehr. Schuld soll seine Stiefmutter sein, die ihr eigenes Leben fast ausschließlich auf Helmut Kohl ausgerichtet haben soll. Sie ist eine große Verteidigerin ihres Mannes, wie unlängst in einem seltenen Interview deutlich wurde. Gegen die Medien, die Kohl nur gedemütigt hätten. Gegen die CDU , die ihn wegen der Spendenaffäre ausgegrenzt habe. Ein "furchtbares Unrecht" sei ihrem Mann widerfahren, befand Kohl-Richter.

Das sehen viele in Berlin nach wie vor anders. Aber das ist die Welt, in der der Altkanzler jetzt lebt. Abgeschottet, kontrolliert, krank. Man fragt sich unweigerlich, ob Helmut Kohl überhaupt noch politische Freunde hat. Und ja, es gibt sie, die Kohl-Verehrer, die noch regen Kontakt zu ihm halten (dürfen). Wie die 41-jährige CDU-Chefin von Rheinland-Pfalz und Merkel-Stellvertreterin Julia Klöckner . Oder der 35-jährige Philipp Mißfelder , Bundestagsabgeordneter und bis vor kurzem noch Vorsitzender der Jungen Union. Helmut Kohl sei ein "Vorbild für die junge Generation", hat Mißfelder einmal gesagt. Was wenig schmeichelhaft für Merkel ist. Tatsächlich suchen eher die Jungen aus der CDU noch die Nähe zum Einheitskanzler. Die Alten sind hingegen ziemlich fertig mit ihm. Genauso, wie er mit ihnen.

"Müller hat sich schäbig verhalten"

Wegen Spendenaffäre: Altkanzler Kohl greift Spitzenpolitiker der Saar-CDU an
Es ist ein trauriges Kapitel der CDU-Historie: der Spendenskandal. Kein Politiker möchte damit in Verbindung gebracht werden. Doch 15 Jahre später kocht das Thema wieder hoch.


Saarbrücken/Berlin . Die Akte "CDU-Spendenaffäre" ist eigentlich geschlossen. Denn die Namen der Spender kommen dem Altkanzler Helmut Kohl bis heute nicht über die Lippen. Doch nun ruft ein neues Interview-Buch seines ehemaligen Ghostwriters den Skandal in Erinnerung. In nicht autorisierten Zitaten sät der Kanzler der Einheit darin Zwietracht unter seinen alten Weggefährten. Der Zorn Kohls trifft dabei auch Peter Müller und Klaus Töpfer .
Über den heutigen Bundesrichter Müller sagt Kohl: "Er hat sich schäbig verhalten." Gemeint hat er damit, dass Müller im Zuge der Spendenaffäre von ihm abgerückt war - und offen "Signale tätiger Reue" gefordert hatte. Kohl poltert weiter gegen Müller. "Mein Gott, der weiß doch, was die bei den Spendengeschichten für einen Vorteil hatten." Auch wenn er damals nicht der "Vorsitzende" gewesen sei. Das Zitat legt nahe, dass er damit die Saar-CDU meint.
Deren Parteivorsitzende war von 1990 bis 1995 Klaus Töpfer . Töpferdamals der in "afrikanischen Höhlen lungernde Töpfer", wie Kohl weiter ausführt. Er stand der Saar-CDU von 1990 bis 1995 vor, später war er als Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen unterwegs. Und ihm weist Kohl eine besondere Rolle in der Geschichte des CDU-Spendengebarens zu. Denn erst über ihn habe er Dieter Holzer kennengelernt. Töpfer und Holzer seien "wie Kopf und Arsch" gewesen, so Kohl. Holzer galt als ein Lobbyist des französischen Ölmultis Elf Aquitaine, der in Ostdeutschland den milliardenschweren Aufbau der Leuna-Raffinerie vorangetrieben hat. Das Prestige-Projekt der Regierung Kohl begleiteten immer wieder Spekulationen über Parteispenden an die CDU .
Töpfer wollte sich gestern auf SZ-Anfrage nicht äußern. Die CDU-Landeszentrale hält die Kohl-Zitate im "Spiegel" hingegen für "reichlich vage", mit denen "kein konkreter Zusammenhang zur CDU Saar " herzustellen sei.
Ende der 1990er Jahre kam heraus, dass CDU-Mann Kohl nicht deklarierte Spenden in Millionenhöhe erhalten hatte - aus bis heute unbekannten Quellen. Die Richter stellten das Verfahren gegen den Pfälzer zwar gegen eine Geldbuße von 300 000 Mark ein. Seine politische Reputation hat darunter aber gehörig gelitten. Und so schmerzt ihn die Spendenaffäre sichtlich bis heute. pbe

Meinung:Kohls Bild istbereits gemalt

Von SZ-Redakteur Bernard Bernarding

Es gibt Dinge im Leben, die gut und schlecht zugleich sind. Ein Tor beim Fußball etwa: für die einen prima, für die anderen blöd. Ähnlich verhält es sich mit dem Kohl-Buch des Autors Schwan. Auf der einen Seite ein böser Vertrauensbruch, denn der Altkanzler hat die Zitate nicht autorisiert. Andererseits ein Segen für Wissenschaft und Medien, denn "Kohl unplugged", also unverfälscht, ist ein Genuss nicht nur für politische Feinschmecker. Was den Inhalt betrifft: Der Neuigkeitswert hält sich im Rahmen. Kohl braucht sich aber nicht zu grämen, sein Geschichtsbild ist bereits gezeichnet. Daran werden auch ,,Enthüllungen" über seine derbe Ausdruckweise nichts mehr ändern.

Zum Thema:
Der WDR-Journalist Heribert Schwan ist Auftragsschreiber der dreibändigen Helmut-Kohl-Memoiren sowie des Tagebuchs zur Spendenaffäre, das im Jahr 2000 zum Bestseller wurde. Schwan zeichnete in den Jahren 2001 und 2002 insgesamt mehr als 600 Stunden lang Gespräche mit Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl auf. Sie dienten Schwan bei der Abfassung der Kohl-Memoiren, bevor sich dieser im Jahr 2009 im Streit von Schwan trennte. Erstmals wurden die Gespräche nun vom Magazin "Spiegel" in Auszügen veröffentlicht. red

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