In der Wüste will Amerikas Rechte Obama schlagen

Las Vegas. Wo ist Sharron Angle? Heidi Harris macht aus ihrem Ärger keinen Hehl. Um viertel nach sieben sollte sich die Kandidatin in der beliebtesten Morgen-Talkshow von Las Vegas melden. Versteckt sich die Republikanerin nun auch vor ihren Sympathisanten? "Sie hält besser ihr Wort", droht die einflussreiche Heidi. Kurz vor Schluss meldet sich Angle im Studio

Las Vegas. Wo ist Sharron Angle? Heidi Harris macht aus ihrem Ärger keinen Hehl. Um viertel nach sieben sollte sich die Kandidatin in der beliebtesten Morgen-Talkshow von Las Vegas melden. Versteckt sich die Republikanerin nun auch vor ihren Sympathisanten? "Sie hält besser ihr Wort", droht die einflussreiche Heidi. Kurz vor Schluss meldet sich Angle im Studio. "Ich bin in Washington. Wir legen letzte Hand an die Strategie", entschuldigt sie die Verspätung. Die Moderatorin hat ihr vergeben.

Heidi sympathisiert mit Angle, die sich im Parlament von Nevada als notorische Nein-Sagerin einen Namen machte. "41 gegen Angle" ist ein geflügeltes Wort und macht sie zu einer natürlichen Verbündeten rechter Blockade-Politiker in Washington. "Jeden Tag, an dem der Kongress nichts beschließt, lässt er mir meine Freiheiten", erklärt das konservative Schnell-Feuergewehr auf der Mittelwelle nach der Sendung ihre Philosophie.

Garry Shook stimmt wie die meisten ihrer Wähler nicht für Angle, sondern gegen Harry Reid, den Senatsführer von Barack Obamas Demokratischer Partei. "Ehrlich gesagt weiß ich nicht viel von ihr", räumt der 72 Jahre alte pensionierte Goldgräber ein, der in Reids Heimatstadt Searchlight wohnt, einem Tausend-Seelen-Nest eine Autostunde südlich von Las Vegas. Umso genauer weiß Shook, was er nicht will: Illegale Einwanderer, die über die Grenze schleichen. Den trunkenen Nachbarn, der Arbeitslosenhilfe bekommt. Moslems, die in Amerika angeblich die Scharia einführen. Und Barack Hussein Obama, der für den Anhänger der konservativen und Obama-feindlichen Tea-Party-Bewegung das Symbol einer entfremdeten Welt ist. "Wo ist seine Geburtsurkunde?", ätzt Shook. "Hat er nicht selber gesagt, dass er ein Muslim ist?" Neben der Wahltafel für Angle hat er ein Schild mit den zehn Geboten aufgestellt. "Ich habe das Gefühl, wir gehen auf den Sozialismus zu", klagt der wohlhabende Rentner.

Was für Angle der Tea-Party-Express ist, der den Etat der Kandidatin mit Geld texanischer Öl-Milliardäre vollpumpt, erledigen für Senator Reid, der sich um eine fünfte Amtszeit bewirbt, die Gewerkschaften. Vor allem die mächtige "Culinary Union", der in Las Vegas neun von zehn Beschäftigten der Branche angehören. Gewerkschaftsboss "D." Taylor hält wenig von dem Gerede von der Begeisterungslücke, die Demoskopen bei den Demokraten ausgemacht haben. "Die Leute versuchen über die Runden zu kommen", erklärt er die Protest-Stimmung. Erst recht in einem Staat, der in der Krise so tief abstürzte wie Nevada. Mit fast 15 Prozent hat Nevada die höchste Arbeitslosigkeit und führt national die Liste der Immobilien-Pleiten an.

Taylor nennt Reid einen "fürchterlichen Wahlkämpfer", der sich als Politiker dagegen als Glücksfall erwiesen habe. "Ohne ihn stünde im Herzen des Strips eine Bauruine", erinnert der Gewerkschafter an die Millionen, die Reid für die Fertigstellung des postmodernen City-Centers im Herzen von Las Vegas auftrieb. "Harry hat uns damit zwanzigtausend Arbeitsplätze gesichert."

Das vergessen ihm auch die Betreiber der Kasinos nicht. Zusammen mit der Bauindustrie bilden sie das Rückgrat der Wirtschaft. "Wir können uns Angle nicht leisten", kritisiert der Manager Alan Feldman die Kandidatin, die gegen die staatliche Alterssicherung, Obamas Krankenversicherung und illegale Einwanderer polemisiert. Feldman gehört zu der Gruppe von mehr als 400 prominenten Republikanern Nevadas, die sich in Anbetracht der Alternative offen für den Demokraten engagieren. "Wenn ich in Washington anrufe, möchte ich, dass jemand abhebt, der etwas erreichen kann."

Ana Maria Lopez hat ein ähnliches Kalkül. "Ohne Harry Reid gäbe es das City-Center nicht", sagt die 56-Jährige. Dort hofft sie nun auf einen neuen Job, nachdem sie Anfang des Jahres ihren alten im Santa Fe Casino verlor. Ohne Arbeit konnte Ana die Miete nicht mehr zahlen. Sie zog zu ihrer Tochter, bevor ihr eine Bekannte eine günstige Bleibe anbot. Anders als die Tea-Party-Anhänger, die sich vor dem Abstieg fürchten, ist Lopez bereits unten angekommen.

"Die Stadt ist gespalten, wie Nevada", meint Bob Shawn, der an der Bar des "Golden Nugget" über die Wahl räsoniert. Unter der Decke schwirren schwülstige Ventilatoren aus China, während aus den krächzenden Lautsprechern Musik aus den 70er Jahren wabert. Bob fühlt sich im Stich gelassen. Von den Bankern, die sich ihre Verluste vom Staat zurückholen, Unternehmen, die Jobs ins Ausland verlegen, Politikern, die sich mit unsichtbaren Kräften verbünden, "um eine Weltregierung zu gründen". Diese Verlorenheit findet sich überall in Nevada. Und bei den von Verlustängsten geplagten Tea-Party-Anhängern, die sich mit Super-Patriotismus gegen die Globalisierung aufbäumen.

Reids Chancen hängen daran, die Wahl zu einer Abstimmung über Angle zu machen. Weshalb er den Äther mit Spots übersät, die Angles bizarre Weltsicht präsentieren. Eine Strategie, die wieder einmal aufgehen könnte. Wie bei den hauchdünnen Siegen der Vergangenheit, die ihm den ironischen Beinamen "Erdrutsch-Harry" eintrugen. "Wo ist

seine Geburts- urkunde?

Hat er nicht selber gesagt, dass er

Muslim ist?"

Garry Shook, pensionierter Goldgräber

Meinung

Der Zorn des weißen Mannes

Von SZ-Korrespondent

Thomas Spang

Bei den Kongresswahlen 2010 kehren die zornigen weißen Männer (und Frauen) auf die politische Bühne zurück. Getrieben von Ängsten um ihre Arbeitsplätze, Häuser und eskalierende Schulden suchen sie nach Sündenböcken der Misere. Statt sich die Ideologen vorzuknöpfen, die im Namen des freien Marktes die sozialen Netze zerschnitten, Schulen, Schienen und Straßen vernachlässigt und das Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs geführt haben, lassen sie ihre Wut am "Staat" aus. Der Staat ist so anonym wie die Kräfte der Globalisierung. Der protestantische, weiße Durchschnittsamerikaner jenseits der West- und Ostküste fühlt sich in seiner Lebensweise bedroht. Zurecht, gleichen ganze Regionen im Herzen Amerikas doch industriellem Ödland, besiedelt von Menschen, die angesichts eines lausigen Bildungssystems immer weiter hinter den Rest der Welt zurückfallen.

Die Tea-Party-Aktivisten betrieben vom ersten Tag an eine Kampagne, die darauf abzielt, Obama zu delegitimieren. Er sei nicht in den USA geboren, ein heimlicher Muslim und gewiss ein Sozialist. In jedem Fall verantwortlich für den Verlust der Einzigartigkeit Amerikas. Diese Saat droht bei den Kongresswahlen nun aufzugehen und super-patriotische Fantasten nach Washington zu bringen, die noch mehr von der Medizin verordnen wollen, die Onkel Sam so krank gemacht hat. Die spannende Frage bleibt, ob der sichere Rechtsruck den Siedepunkt markiert oder den Weg für eine Kandidatur Sarah Palins oder eines anderen Tea-Party-Kandidaten für das Weiße Haus bereitet.

Am Rande

Die US-Republikaner gehen finanziell fett gepolstert in den Endspurt vor der Kongresswahl am 2. November. Nach einem Bericht der "Washington Post" vom Sonntag haben ihre Kandidaten für das Abgeordnetenhaus im vergangenen Vierteljahr insgesamt stolze 104 Millionen Dollar (umgerechnet 74,4 Millionen Euro) an Spenden eingenommen und damit erstmals ihre demokratischen Rivalen übertroffen. Die Partei von Präsident Barack Obama kam nur auf 89 Millionen Dollar. dpa

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