Der Fall TXT In Berlin gefasst, in Hanoi eingesperrt – und bald ein toter Mann?

Hanoi · Der politische Streit um den mutmaßlich aus Deutschland entführten Vietnamesen Thanh gärt. Jetzt kommt der Geschäftsmann vor Gericht. Ihm droht die Giftspritze.

 Trinh Xuan Thanh verschwand im Sommer aus Berlin. Er soll auf Befehl aus Hanoi entführt wurden sein.

Trinh Xuan Thanh verschwand im Sommer aus Berlin. Er soll auf Befehl aus Hanoi entführt wurden sein.

Foto: dpa/---

(dpa) Das Straflager B14 in Vietnams Hauptstadt Hanoi ist kein gewöhnliches Gefängnis. Der streng gesicherte Bau im Stadtteil Thanh Liet untersteht dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit. Hier bringt der kommunistische Einparteienstaat Dissidenten unter, die aus seiner Sicht Gefahr bedeuten. Oder auch Parteigänger, die sich der Korruption in besonders schweren Fällen schuldig gemacht haben sollen.

Dazu gehört ein Mann, der bis vor ein paar Monaten noch einigermaßen sorglos in Berlin lebte: Trinh Xuan Thanh (kurz: TXT), ehemals Chef einer Tochterfirma des staatlichen Energiekonzerns PetroVietnam und hochrangiger KP-Funktionär, bis er 2016 in Ungnade fiel und sich nach Deutschland absetzte. Am Montag beginnt der erste Prozess gegen den 52-Jährigen. In seiner Heimat droht ihm nun die Todesstrafe.

Solche Gerichtsverfahren hat es in Vietnam schon mehrere gegeben, ohne dass sie international größeres Aufsehen erregten. Was den Fall TXT so heikel macht, sind die merkwürdigen Umstände seiner Rückkehr: Die Bundesregierung ist überzeugt davon, dass der reiche Geschäftsmann, der einst zu DDR-Zeiten in Deutschland studierte, Opfer einer Entführung wurde, wie man sie sich nach dem Ende des Kalten Kriegs eigentlich kaum noch vorstellen konnte.

Wie aus einem „James-Bond“-Film wirkte auch die entscheidende Szene des Falls: Nach Erkenntnissen der deutschen Ermittler wurde Tranh am 23. Juli 2017 in Berlin auf offener Straße gekidnappt, als er mit seiner Freundin in der Nähe des Bundeskanzleramts spazierte. Demnach wurde das Paar von einem Überfallkommando in einen VW-Transporter mit tschechischem Kennzeichen gezerrt, verhört und schließlich zurück nach Vietnam gebracht. Dahinter sollen Vietnams Geheimdienst und die Botschaft in Berlin stecken. Die Bundesregierung nennt das Ganze einen „unakzeptablen Rechtsbruch“. Zwei vietnamesische Diplomaten mussten Deutschland deshalb verlassen. In der ersten Empörung forderte Berlin auch Tranhs sofortige Freilassung. Inzwischen hat man keine große Hoffnung mehr. Vorrangiges Ziel ist es nun, die Todesstrafe zu vermeiden.

Nach vietnamesischer Lesart stellt sich die Sache ohnehin ganz anders dar. Hanoi behauptet, dass Thanh aus freien Stücken zurückkam. Das Staatsfernsehen führte den ehemaligen KP-Kader im letzten Sommer mit den Worten vor: „Ich bin zurück, um der Wahrheit ins Auge zu sehen. Und ich will hohe Führer treffen, um mich zu entschuldigen.“ Unter welchen Umständen die Aufnahmen zustande kamen, ist nicht bekannt.

Konkret wirft ihm die Anklage vor, als Chef des Baukonzerns PetroVietnam Construction umgerechnet mehr als 50 Millionen Euro zweckentfremdet zu haben. Mindestens vier Milliarden vietnamesische Dong (etwa 150 000 Euro) soll er in die eigene Tasche gesteckt haben. Zudem soll er bei einem Bauprojekt in Hanoi eine halbe Million Euro Schmiergeld kassiert haben. Über seinen Vater, der ihn in Haft besuchen durfte, ließ TXT am Freitag alle Vorwürfe zurückweisen. Zugleich ließ er aber auch erklären: „Als Chef der Firma habe ich Verantwortung dafür zu übernehmen, wenn meine Untergebenen durch ihr Handeln der Firma Schaden zugefügt haben.“

Korruption ist in Vietnam weit verbreitet. Nach der wirtschaftlichen Öffnung des Landes wurden viele Leute in den vergangenen Jahren sehr schnell reich, auch Funktionäre der KP. Im Korruptionsindex von Transparency International liegt Vietnam auf Rang 113 von 176 – also ziemlich weit hinten. Die aktuelle Führung unter KP-Generalsekretär Nguyen Phu Trong hat eine Anti-Korruptions-Kampagne gestartet. Viele sehen darin allerdings einen Machtkampf zwischen seinen Anhängern und dem Lager des früheren Ministerpräsidenten Nguyen Tan Dung, zu dem auch TXT gerechnet wird.

Thanh hat nun das Pech, dass Vietnam zu den wenigen Ländern der Welt gehört, die wegen Korruption die Todesstrafe verhängen. Erst im September wurde sein früherer Vorgesetzter wegen Veruntreuung zum Tod durch die Giftspritze verurteilt. Seit einiger Zeit lässt Vietnam offenbar wieder mehr Hinrichtungen ausführen. Normalerweise werden die Zahlen geheimgehalten, aber 2017 kam heraus, dass zwischen Juni 2011 und Juni 2016 mindestens 429 Menschen hingerichtet wurden. Damit liegt das Land in der Rangliste der Henkerstaaten hinter China und dem Iran auf Platz drei.

Falls gegen Thanh ein Todesurteil verhängt wird, käme dies für die Bundesregierung einem weiteren Affront gleich. Vorsichtshalber wurde der vietnamesische Botschafter in Berlin am Freitag nochmal zum Gespräch ins Auswärtige Amt gebeten. Die deutsche Botschaft in Hanoi will den Prozess „sehr eng beobachten“. Ob Deutschlands Botschafter Christian Berger oder jemand anders von der Vertretung am Montag im Gericht dabei sein darf, steht aber noch nicht fest. Ausländische Journalisten sollen diese Möglichkeit nicht bekommen. Das vietnamesische Außenministerium kündigte am Freitag an, dass alle internationalen Medien vom Prozessbeginn ausgeschlossen werden. Der Fall sei eine rein vietnamesische Angelegenheit, hieß es.

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