Im zweiten Anlauf zum Sozialismus

Berlin. Die Veranstaltung wirkt ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Zitate von Karl Marx und Friedrich Engels schwirren durch den Raum. Auch Bertolt Brechts gesellschaftspolitische Sicht kommt zur Sprache. Rosa Luxemburg sowieso. Das hat mit dem Thema zu tun

 Bisky und Lafontaine stellen das Programm der Linken vor. Foto: dpa

Bisky und Lafontaine stellen das Programm der Linken vor. Foto: dpa

Berlin. Die Veranstaltung wirkt ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Zitate von Karl Marx und Friedrich Engels schwirren durch den Raum. Auch Bertolt Brechts gesellschaftspolitische Sicht kommt zur Sprache. Rosa Luxemburg sowieso. Das hat mit dem Thema zu tun. Wenn die scheidenden Führungsköpfe der Linken, Oskar Lafontaine und Lothar Bisky, den Programmentwurf ihrer Partei vorstellen, dann feiern auch die Klassiker der proletarischen Revolution eine Wiederauferstehung.

Rund zweieinhalb Jahre lang hat eine 16-köpfige Programmkommission unter Lafontaines Federführung an dem Papier gewerkelt. Und da sei man noch "relativ zügig" gewesen, sagt der Saarländer mit Verweis auf das "vorletzte Grundsatzprogramm" der SPD. Das habe fast doppelt soviel Zeit gebraucht. Lafontaine muss es wissen. 1989 gehörte er noch zu den führenden Genossen der Sozialdemokratie und stand damals ihrer Programmkommission vor. Bislang dienen der Linken nur "programmatische Eckpunkte" als Orientierung. Und das wird auch noch eine Weile so bleiben. Denn zunächst einmal soll das Programmpapier bis zum Herbst 2011 breit diskutiert werden. Insgesamt liest es sich wie der Anlauf zu einem zweiten Sozialismusversuch. Diesmal aber mit richtiger Demokratie und wirklichem gesellschaftlichen Eigentum, wie Lafontaine und Bisky einhellig versichern.

Dabei macht sich Bisky keine Illusionen. "Der Sozialismusbegriff wird uns in seiner historischen Deformation hinterher getragen", umschreibt er etwas umständlich das Scheitern der DDR. Die Programmdebatte sei dann auch dazu gedacht, "einen identitätsstiftenden Kern für die Linke" zu finden. Derweil beschwört Lafontaine die demokratische, ökologische und soziale Erneuerung im Land. Das soll nicht nur mittels Wahlen und Volksbegehren ins Werk gesetzt werden, sondern auch durch politische Streiks, die in Deutschland verboten sind. "Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte", heißt es im Entwurf. Zu den Vorstellungen über eine radikalen Umbau der Gesellschaft zählen die Verstaatlichung der privaten Banken sowie der Strom- und Schienennetze. Außenpolitsch setzt die Partei auf ein Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr und eine Auflösung der Nato.

Auch Lafontaine gibt sich allerdings nicht der Hoffnung hin, dass die Theorie umgehend von den Massen Besitz ergreift. Gerade die bevorstehende Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zeige, dass die Grünen "nur einen Vorwand" suchten, "um nicht mit uns zusammenzuarbeiten". Und "die SPD weiß nicht, was sie will", klagt der Saarländer. Dabei gäbe es bei der Linken "niemanden, der gegen eine Regierungsbeteiligung ist". Strittig seien nur die "Bedingungen".

Darüber dürften in der Tat noch hitzige innerparteiliche Diskussionen geführt werden. Die Pragmatiker sind sauer über die hohen Hürden, die der Programmentwurf fürs Mitregieren enthält. Privatisierungen werden genauso abgelehnt wie ein Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst. Das dürfe kein Kriterium sein, warnt der thüringische Landeschef Bodo Ramelow. In seinem Bundesland sei dringend eine Verwaltungsreform mit "Personalabbau" nötig. Und der Berliner Landevorsitzende Stefan Liebig mahnt: "Wir müssen noch klar herausarbeiten, dass wir nicht gegen den Rest der Welt kämpfen". Das Programm soll endgültig von einem Parteitag 2011 verabschiedet werden.

Meinung

Rechthaberei statt Realität

Von SZ-Korrespondent

Stefan Vetter

Auch bei den Linken selbst ist der Programmentwurf, der eindeutig die Handschrift von Lafontaine trägt, hoch umstritten. Kein Wunder. Würde die Partei das Papier so beschließen, käme nicht einmal mehr eine Regierungsbeteiligung auf Länderebene für sie in Frage. Vom Bund ganz zu schweigen. Genau das schwächt aber das Lager jenseits von Union und FDP. Auch bei gutem Willen wird es der SPD nämlich schwer fallen, Koalitionen mit einer Partei zu begründen, die eine andere Republik mit den Mitteln der Verstaatlichung und des politischen Generalstreiks anstrebt. Und die Grünen könnten durch die linke Radikalität erst recht in die Arme der Union getrieben werden. Der Programmentwurf lässt jedenfalls an der Bündnisfähigkeit der Linkspartei zweifeln. Ihr geht es offenbar weniger um praktikable politische Veränderungen. Sie will vielmehr Recht haben.

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