Im Vertrauen auf Gott - und ohne SchutzGeheimdienste fürchten weitere Zunahme der Gewalt gegen Helfer

Neu Delhi. In der Liste der Grundwerte der christlichen Hilfsorganisation International Assistance Mission (IAM) steht "Abhängigkeit von Gott" ganz oben. Doch alles Gottvertrauen rettete die Helfer nicht, die nun im Nordosten Afghanistans erschossen wurden

 Dirk Frans, Direktor der Hilfsorganisation International Assistance Mission (IAM), vor seinem Büro in Kabul. IAM will das Engagement in Afghanistan trotz des tödlichen Angriffs auf ihre Mitarbeiter fortsetzen. Foto: dpa

Dirk Frans, Direktor der Hilfsorganisation International Assistance Mission (IAM), vor seinem Büro in Kabul. IAM will das Engagement in Afghanistan trotz des tödlichen Angriffs auf ihre Mitarbeiter fortsetzen. Foto: dpa

Neu Delhi. In der Liste der Grundwerte der christlichen Hilfsorganisation International Assistance Mission (IAM) steht "Abhängigkeit von Gott" ganz oben. Doch alles Gottvertrauen rettete die Helfer nicht, die nun im Nordosten Afghanistans erschossen wurden. Für die Taliban waren sie "christliche Missionare": Eine Deutsche, fünf Amerikaner, eine Amerikanerin, eine Britin und zwei Afghanen bezahlten ihr humanitäres Engagement mit dem Leben.

Nach Angaben der Polizei wurden die Helfer bereits am Donnerstag im abgelegenen Grenzgebiet zwischen den Provinzen Badachschan und Nuristan getötet. Die Leichen wurden gestern nach Kabul überführt, um dortendgültig identifiziert zu werden. IAM-Direktor Dirk Frans sagte aber, man gehe davon aus, dass es sich bei den Toten um die Mitarbeiter eines Augenarzt-Teams der Organisation handele.

Wer im gefährlichen Afghanistan für IAM arbeitet, der muss ein Idealist sein. Manche der freiwilligen Helfer aus dem Ausland finanzierten ihren Aufenthalt aus eigener Tasche, heißt es auf der Homepage; andere würden von Gruppen aus der Heimat unterstützt. Die meisten der IAM-Fachkräfte könnten zu Hause oder bei einem anderen internationalen Arbeitgeber in Afghanistan das zwei- bis sechsfache Gehalt verdienen, schreibt das Hilfswerk.

Nicht selten sind es solche Idealisten, die sich gutgläubig in Gefahr bringen im Krisengebiet am Hindukusch. Sie vertrauen darauf, dass man ihnen, die ja nur Gutes wollen, nichts antun wird. So wurde im August 2007 eine schwangere deutsche Helferin einer christlichen Organisation am helllichten Tage aus einem Imbiss in Kabul verschleppt. Anwohner sagten damals, die Frau - sie wurde kurz darauf gewaltsam befreit - sei täglich auf der Straße spazieren gegangen, was schon damals nicht ratsam war.

Große internationale Hilfsorganisationen setzen statt auf "Liebe für alle" - ein weiterer IAM-Grundwert - auf strenge Schutzmaßnahmen. Während andere Helfer nur in gepanzerten Fahrzeugen unterwegs sind, bewegten sich die nun getöteten Mitarbeiter der IAM nach Informationen von stern.de zeitweise auf Pferden durch die Region. Der Leiter der Gruppe soll zwar mehr als drei Jahrzehnte Afghanistan-Erfahrung gehabt haben, doch auch das hilft am Hindukusch nicht immer: In der Konfliktregion kann sich die Sicherheitslage schnell ändern.

Dennoch verzichtete IAM auch auf andere Maßnahmen, die Übeltäter abschrecken könnten. "Wir hatten niemals irgendeinen bewaffneten Schutz", sagt Frans. "Wir sind eine humanitäre Organisation, die sich im Grunde darauf verlässt, von der örtlichen Gemeinschaft willkommen geheißen zu werden. Also hatte auch dieses Team keinen bewaffneten Schutz." Dabei operieren in Nuristan - einer der gefährlichsten Provinzen Afghanistans - die radikalislamischen Taliban, im benachbarten Badachschan treiben kriminelle Banden ihr Unwesen.

Unklar ist, ob die Taliban, die sich zu der Tat bekannten, die Helfer wirklich töteten oder ob es sich um einen Straßenraub handelte, den die Aufständischen für ihre Propaganda ausschlachten. Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid nannte die Opfer jedenfalls "christliche Missionare" - das ist in der Islamischen Republik Afghanistan ein gefährliches Etikett. Frans wies alle Missionierungsvorwürfe als "Lüge" zurück. IAM sei eine christliche Organisation und als solche bei der Regierung registriert. "Aber wir predigen nicht das Christentum, wir verteilen keine Bibeln. Das ist nicht unsere Arbeit." IAM ist seit mehr als 40 Jahren in Afghanistan und verpflichtet sich nach eigenen Angaben, Hilfe nicht dazu zu nutzen, "um einen besonderen politischen oder religiösen Standpunkt zu fördern". In den letzten Monaten des Taliban-Regimes wurde IAM dennoch mit einer weiteren christlichen Hilfsorganisation verboten. Dann wurden die radikalislamischen Herrscher Ende 2001 gestürzt, und IAM setzte die Arbeit fort - doch der Verdacht der Missionierung blieb.

Gestern gab die Organisation bekannt, ihre Arbeit am Hindukusch trotz des tödlichen Angriffs fortsetzen zu wollen. "Ich denke, dass es hochgradig unwahrscheinlich ist, dass sich IAM zurückzieht", sagte IAM-Direktor Frans. Kabul. Nach der Ermordung von zehn Mitarbeitern der christlichen Hilfsorganisation "International Assistance Mission" (IAM) in Nordafghanistan befürchten Vertreter westlicher Geheimdienste eine weitere Zunahme der Gewalt am Hindukusch. Die Grausamkeit gegen zivile Helfer in Afghanistan werde "unerbittlich zunehmen", weil die Taliban glauben, auch auf diese Weise den Abzug "aller Ungläubigen aus Afghanistan erzwingen zu können", sagten mehrere Angehörige ausländischer Geheimdienste gestern in Kabul.

Die radikal-islamischen Taliban haben nach Darstellung des afghanischen Geheimdienstes NDS nicht nur mit Stammesführern und Warlords, sondern auch mit den zahlreichen in Afghanistan operierenden kriminellen Banden ein "Netz von Spähern" aufgebaut. "Die Verständigung zwischen den einzelnen Gruppierungen erfolgt blitzschnell", erläuterte ein NDS-Vertreter. Es sei bis jetzt nicht gelungen, in diese Verbindungen einzudringen.

Die Lage für die internationalen Hilfsdienste werde generell immer gefährlicher, berichteten die Geheimdienstler. Bisher hätten sich ausländische Ärzte und ihre Helfer bei ihren Einsätzen relativ sicher fühlen können. Sie wurden im Gegensatz zu den Isaf-Truppen nicht als "Feinde" angesehen. Jetzt wollen die Taliban, die immer stärker werden, "alles daran setzen, um ausländische Hilfe jeglicher Art, handle es sich auf sozialem, medizinischem oder bildungsmäßigem Gebiet, zu unterbinden". Das gehöre neben den verstärkten Angriffen und Überfällen auf die Isaf-Truppen zur neuen Taktik der Taliban, erklärten Geheimdienstler. ddp

"Wir hatten niemals irgendeinen bewaffneten Schutz."

IAM-Direktor

Dirk Frans

Hintergrund

 Dirk Frans, Direktor der Hilfsorganisation International Assistance Mission (IAM), vor seinem Büro in Kabul. IAM will das Engagement in Afghanistan trotz des tödlichen Angriffs auf ihre Mitarbeiter fortsetzen. Foto: dpa

Dirk Frans, Direktor der Hilfsorganisation International Assistance Mission (IAM), vor seinem Büro in Kabul. IAM will das Engagement in Afghanistan trotz des tödlichen Angriffs auf ihre Mitarbeiter fortsetzen. Foto: dpa

Mit Bestürzung haben Politiker und Kirchen auf die Ermordung von Ärzten einer christlichen Hilfsmission in Afghanistan reagiert. Die Deutsche Evangelische Allianz reagierte mit "tiefer Trauer". Die Bundesregierung forderte die Bestrafung der Täter. Der Vorfall unterstreiche die Notwendigkeit, "weiter zielstrebig auf eine Stabilisierung der Lage in Afghanistan hinzuwirken", sagte Vize-Regierungssprecherin Sabine Heimbach. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte der ARD, der militärische Einsatz in Afghanistan könne das Land nicht befrieden. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte, er halte dauerhafte Stabilität in Afghanistan nur für möglich, wenn auch Talibanführer an der Macht im Land beteiligt werden. Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner sprach von einem "ganz besonders feigen und grausamen Akt". dpa

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