Im Ländle geht es heiß her

Noch nie habe er einen solchen Wahlkampf erlebt, stöhnt Wolfgang Schmitt. Der Sprecher der Landtagsfraktion ist seit 30 Jahren bei den Grünen in Baden-Württemberg, also von Anfang an. Winfried Kretschmann, sein Chef an der Spitze der Landtagsfraktion, ist der Spitzenkandidat der Grünen. Absolvierte der 62-Jährige vor fünf Jahren etwa 50 Wahlkampfauftritte, sind es diesmal doppelt so viele

Noch nie habe er einen solchen Wahlkampf erlebt, stöhnt Wolfgang Schmitt. Der Sprecher der Landtagsfraktion ist seit 30 Jahren bei den Grünen in Baden-Württemberg, also von Anfang an. Winfried Kretschmann, sein Chef an der Spitze der Landtagsfraktion, ist der Spitzenkandidat der Grünen. Absolvierte der 62-Jährige vor fünf Jahren etwa 50 Wahlkampfauftritte, sind es diesmal doppelt so viele. Doch nicht nur die Termindichte macht den Wahlkämpfern zu schaffen. Baden-Württemberg erlebt den härtesten Wahlkampf seiner Geschichte.Die CDU ist 58 Jahre am Ruder. Seit 15 Jahren regieren die Liberalen mit. Im Vorfeld früherer Wahlen spekulierten die Medien allenfalls darüber, wer neu ins Kabinett kommt. Doch ein Machtwechsel? Seit dem 30. September 2010 ist er auch im Südwesten denkbar. Das war der Tag des Polizeieinsatzes im Stuttgarter Schlossgarten zur Durchsetzung der Bauarbeiten für das Bahnprojekt Stuttgart 21. Ein Einsatz, bei dem alles schief lief, was schief laufen konnte. Bilder von Wasserwerfern, blutenden Augen und "Lügenpack"-Schildern gingen von Stuttgart aus. Eine derart aggressive Stimmung gegen schwarz-gelbe Regierungspolitik hatte der Südwesten nie gesehen. Die Grünen als Projekt-Gegner flogen in Umfragen in Volksparteihöhen von mehr als 30 Prozent. Die SPD dümpelte aufgrund ihrer Unentschiedenheit bei 20 Prozent. Die FDP unter Ulrich Goll sackte ab auf sechs Prozent. Und CDU-Landeschef Stefan Mappus sah sich einem Sturm ausgesetzt, den er nicht mehr mit seinem alten Spruch abwiegeln konnte, gute Piloten starteten eben gegen den Wind.

Denn unter den "Wutbürgern" waren auch solche, die sich abgewandt hatten von seiner CDU. Mappus, mit einem bulligen Image im Stile von Franz Josef Strauß ausgestattet, bekam die Fratze des Machtbesessenen, der über Leichen ginge, um am Ruder zu bleiben. Sie reckten Plakate mit Sarg, Mappus-Konterfei und der Aufschrift: "Wenn Herr Mappus unter die Erde will, dann bringen wir ihn hin!" und riefen "Mappus weg, Mappus tot".

Es waren schwere Zeiten für den CDU-Frontmann. Ein Getriebener war er seit Amtsantritt. Aber eben auch einer, der gern andere vor sich hertrieb. Den Ankauf einer Steuerbetrüger-CD verweigerte er. Im Kampf um die Atom-Laufzeitverlängerung empfahl er in markigen Auftritten Bundesumweltminister Norbert Röttgen den Rücktritt. Mappus gab den Kurshalter, den knallharten Entscheider der CDU - in bewusstem Kontrast zur moderierenden Angela Merkel. Doch war dies vor dem "schwarzen Donnerstag".

Die Schlichtung mit Heiner Geißler half. Stuttgart 21 fiel in seiner Wichtigkeit als Wahlkampfthema zurück. Für wenige Tage schien es wieder ein fast normaler Wahlkampf zu werden mit Bildung oder Länderfinanzausgleich - wären da nicht die Affäre um den Anteilskauf beim Energiekonzern EnBW und die Plagiatsaffäre um Karl-Theodor zu Guttenberg gewesen. Und als die Umfragewerte doch wieder auf 40 Prozent stiegen, schwappte der Tsunami in Japan übers Land. Die rauchenden Reaktorblöcke von Fukushima bescherten der CDU eine Atomdebatte. Ausgerechnet dem Wahlkämpfer Mappus, dem Streiter für längere Laufzeiten. Der Regierungschef wollte auf einmal die "Ängste der Bürger ernst nehmen", trug Merkels Moratorium mit. Eilig kündigte Mappus das Abschalten von Neckarwestheim I an. Auch Philippsburg I ist übergangsweise vom Netz. Doch hatte er schon wieder eine Glaubwürdigkeitsdebatte am Hals. SPD und Grüne liegen in Umfragen nun wieder vor Schwarz-Gelb.

Mappus wünscht sich einen "fairen Wahlkampf". Seit einem Dreivierteljahr nehme er wahr, dass die Grünen und die SPD "mich in einer Weise persönlich angreifen, wie das bislang nicht der politischen Kultur in Baden-Württemberg entsprach", klagte er. Das Klima sei "vergiftet". Das sagen die Grünen, von der CDU als "Dagegen-Partei" gebrandmarkt, allerdings auch. Mappus thematisiere das Alter des Spitzenkandidaten Kretschmann und suggeriere hinterlistig, Grünen-Chef Cem Özdemir stehe im Falle seines gesundheitlich bedingten Abdankens bereit. Die Grünen, auch nicht zimperlich, halten Mappus umwelt- und wirtschaftspolitisch für den "letzten Hinterwäldler". Die SPD setzt vor allem personell auf Kontrast. Spitzenkandidat Nils Schmid (37) bewirbt seinen "anderen Politikstil". Die FDP wartet auf den Stammland-Effekt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Landtagswahl in Baden-Württemberg zur "Volksabstimmung" über die Zukunft Baden-Württembergs ausgerufen. Mappus nennt sie "Schicksalswahl". Das ist keineswegs übertrieben. "Das Klima

ist vergiftet."

Ministerpräsident Stefan Mappus

über den Wahlkampf

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