50. Todestag Ché Guevara Idealist Intellektueller Ikone

Vallegrande · Sein Gesicht ziert T-Shirts und Hauswände. Heute vor 50 Jahren wurde Ernesto „Che“ Guevara erschossen. Was ist von ihm geblieben? Che polarisiert noch immer: Für die einen ist er ein ideologiegetriebener Mörder. Für die anderen ein Vorbild im Kampf für eine gerechtere Welt.

 Jahrhundert Lenin Che Guevara Gandhi Stalin Die undatierten Archivbilder zeigen den sowjetischen Staatsgründer und Haupttheoretiker des Marxismus-Leninismus (o. l.), Wladimir Iljitsch Lenin (eigentlich Wladimir Iljitsch Uljanow), den kubanischen Revolutionär Ernesto "Che" Guevara, (u.l.) Mohandas Karamchand Gandhi genannt Mahatma Gandhi und den sowjetischen Diktator Josef Stalin (eigentlich Josif Wissarionowitsch Dschugaschwili). dpa (zu dpa-Themenpaket "Jahrhundert" vom 21.04.1999) (nur s/w)

Jahrhundert Lenin Che Guevara Gandhi Stalin Die undatierten Archivbilder zeigen den sowjetischen Staatsgründer und Haupttheoretiker des Marxismus-Leninismus (o. l.), Wladimir Iljitsch Lenin (eigentlich Wladimir Iljitsch Uljanow), den kubanischen Revolutionär Ernesto "Che" Guevara, (u.l.) Mohandas Karamchand Gandhi genannt Mahatma Gandhi und den sowjetischen Diktator Josef Stalin (eigentlich Josif Wissarionowitsch Dschugaschwili). dpa (zu dpa-Themenpaket "Jahrhundert" vom 21.04.1999) (nur s/w)

Foto: dpa/--

() Damals haben sie ihn verraten, heute wird er hier als Märtyrer verehrt. Touristenführer Gonzalo Flores Guzmán steht mit einer Gruppe japanischer Besucher in der wohl berühmtesten Waschküche der Welt. „Hier haben sie die Leiche zur Schau gestellt, damit alle Welt weiß: Che ist tot“, erzählt Guzmán. „Er hatte die Augen offen, für viele sah er wie ein Heiliger aus. Sie haben ihn San Ernesto getauft.“

Auf dem Waschtisch aus Beton haben sie Che Guevara in jenem Oktober 1967 aufgebahrt. Weiße Rosen stehen jetzt darauf, der ganze Raum ist voll mit Wandkritzeleien wie: „Die Völker der Welt folgen deinem Beispiel.“

Man fragt sich bei einem Besuch im bolivianischen Vallegrande, wie Che Guevara vor 50 Jahren auf die Idee kommen konnte, in dieser verschlafenen Region eine Revolution anzetteln zu wollen. Die Waschküche befindet sich im Garten des Hospitals Señor de Malta, eine Hausfassade des Krankenhauses ziert ein riesiges Che-Porträt mit dem schwarzen Barret, versehen mit einem roten „Vive“-Schriftzug: „Er lebt.“

An einer Wand der Waschküche steht: „Sie wollten dich töten. Aber was sie erreicht haben, ist, dass Du für immer lebst – in jeder Ecke der Welt, wo sie die Fahne der Freiheit hissen wollen.“ Der Leichnam des Guerilleros Che Guevara, dessen Bolivienabenteuer mit seinem Tod am 9. Oktober 1967 kläglich scheitert, ist lediglich zwei Tage hier. Das reicht aber, um den 6000-Seelen-Ort für immer zu verändern.

Zum 50. Todestag gibt es Hoffnungen auf einen Touristenschub, bisher nehmen rund 3500 Touristen im Jahr an Che-Führungen teil. „Hier haben sie ihm die Hände abgetrennt, um sie nach La Paz zu schicken, damit sie den letzten Beweis haben: Es ist Che“, erzählt Guzmán in der kleinen Waschküche. Dann hätten sie die Leiche heimlich weggebracht, man wollte einen Wallfahrtsort verhindern. Die Leichen von Che und einigen Mitkämpfern wurden neben der Piste des Flugplatzes verscharrt.

Erst 30 Jahre später wird das Skelett gefunden – ein Militär hatte den Hinweis gegeben. Dort ist heute ein Mausoleum, eine weitere Station auf der Che-Tour von Guzmán. In einer Grube sind die Grabsteine von Che und sechs Mitstreitern zu sehen. Doch die Überreste Ches sind seit 1997 im weit opulenteren Mausoleum im kubanischen Santa Clara.

Der international verehrte Revolutionär entstammt einer wohlhabenden Familie – am 14. Juni 1928 wird er in der argentinischen Stadt Rosario geboren. Der junge Ernesto – „Che“ ist das argentinische Wort für Kumpel – studiert Medizin, prägend wird 1952 eine Motorradtour durch Südamerika, später bereist er den Kontinent noch einmal als Tramper. Er wird mit Not und Unterdrückung konfrontiert. „Dieses Herumziehen in unserem Amerika hat mich mehr verändert, als ich gedacht hätte“, notiert er über diese Reisen.

Che Guevara verehrt den sowjetischen Diktator Josef Stalin und schwört einen erbitterten Kampf gegen den Kapitalismus. 1954 erlebt Che in Guatemala einen vom US-Geheimdienst CIA unterstützten Putsch gegen einen progressiven Präsidenten, der mit Mindestlöhnen und einer Landreform für mehr Gerechtigkeit einsteht. 1955 lernt er in Mexiko Fidel Castro kennen, der sich hier auf den Kampf gegen den kubanischen Diktator Fulgencio Batista vorbereitet. Sie landen 1956 in Kuba, kämpfen in der Sierra Maestra, die Bewegung wird immer größer. 1959 marschieren sie in Havanna ein.

Che Guevara wird Chef der kubanischen Nationalbank, er zeichnet die Peso-Noten mit „Che“ – bis heute sind sie in Kuba zu kaufen. Er errichtet mit Castro eine totalitäre Diktatur, Todesurteile werden gefällt und vollstreckt.

1961 wird Guevara Industrie­minister. „Unter der Führung von Ernesto Che Guevara ging es mit der kubanischen Wirtschaft rasch berg­ab“, schreibt der mexikanische Politologe Jorge G. Castañeda in seiner Guevara-Biografie. Mit Fidel Castro kommt es zu immer mehr Reibereien, Che will eine noch radikalere Revolution, Stichwort Stalin. Dass er auch ein mitunter der Realität entrückter Träumer ist, zeigt sich vor allem in den darauffolgenden Jahren.

1965 verlässt er Kuba, um „die Flamme der Revolution“ in die Welt zu tragen. „Andere Gebiete benötigen den Beitrag meiner bescheidenen Bemühungen“, lässt er Castro in seinem Abschiedsbrief wissen. Guevara zieht es zunächst in den Kongo, dann nach Bolivien.

Doch Ideal und Wirklichkeit klaffen auseinander. Guevara und seine Mitstreiter kennen sich weder in Afrika noch in den Anden aus. Sein Engagement im Kongo leitete Che mit den Worten ein: „Dies ist die Geschichte eines Scheiterns.“ Sein Tagebuch ist zugleich ein Dokument der Ignoranz: Die Verständigung mit den Einheimischen fällt ihm schwer, eine aus seiner Sicht laxe Arbeitsmoral macht den Comandante zornig. „Ich würde lieber eine Frauenarmee ausbilden als solche Typen wie Sie“, lässt er einen Übersetzer eine Standpauke in Kisuaheli übertragen.

Am 3. November 1966 reist er getarnt – mit völlig verändertem Aussehen, als Ökonom Adolfo Mena González aus Uruguay – in die bolivianische Hauptstadt La Paz. Che wohnt am Boulevard „El Prado“ im Hotel Copacabana. Seine deutsche Mitkämpferin Tamara Bunke organisiert die Logistik. Sie gewinnen ein paar Minenarbeiter für den Kampf im tropischen Tiefland im Süden, zudem reisen einige Kubaner ein. Doch schon am 24. November des gleichen Jahres kommt ihnen Boliviens Geheimdienst erstmals auf die Spur.

Es folgen für die rund 60 Kämpfer entbehrungsreiche Monate. Ches Truppen bleiben isoliert; die Landbevölkerung verhält sich abwartend bis feindselig. Der Hauptmann Gary Prado, der Che Guevara später festnimmt, berichtet: „Sie kannten die Gegend nicht, hatte keine Karten und wandten sich orientierungslos an Bauern. Und die informierten Soldaten. Dadurch wurde schnell klar, dass es eine bewaffnete Gruppe gibt.“

Am Ende sitzt Che Guevara in der Falle. September 1967: Die bolivianische Armee zieht die Schlinge um Guevara und seine letzten Anhänger immer enger. Elf Tage lang hält sich die Rebellengruppe in der Yuro-Schlucht versteckt, etwa 300 Kilometer südwestlich von Santa Cruz.

Dann, am frühen Nachmittag des 8. Oktober, nehmen Soldaten den abgekämpften Guevara zusammen mit einem weiteren Guerilla-Kämpfer fest. Über die letzten Stunden im Leben des Revolutionärs sind unterschiedliche Versionen in Umlauf. Der Befehl, Che zu töten, kommt offenbar von Boliviens Präsident Rene Barrientes Ortuno persönlich. Am 9. Oktober 1967 erschießt Unteroffizier Mario Teran den 39-Jährigen, der die Völker der Welt befreien wollte. Der Schütze soll sich zuvor reichlich Mut angetrunken haben, um Guevara erschießen zu können.

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