"Ich werde unangenehme Wahrheiten aussprechen"

Herr Ministerpräsident, es gibt Stimmen, die sagen, Sie seien zu jung für das Amt des Bundespräsidenten. Was antworten Sie darauf?Wulff: Es hat einen besonderen Reiz, dass der nächste Bundespräsident aus der Mitte des Lebens und damit auch mitten aus dem Leben kommt - mit schulpflichtigen und kleinen Kindern, den Problemen von Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Herr Ministerpräsident, es gibt Stimmen, die sagen, Sie seien zu jung für das Amt des Bundespräsidenten. Was antworten Sie darauf?Wulff: Es hat einen besonderen Reiz, dass der nächste Bundespräsident aus der Mitte des Lebens und damit auch mitten aus dem Leben kommt - mit schulpflichtigen und kleinen Kindern, den Problemen von Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das Grundgesetz verlangt das Mindestalter von 40 Jahren. Davon entferne ich mich mit jetzt 51 Jahren täglich weiter.Dahinter steckt ja auch die Frage, welche Lebenserfahrung Sie mitbringen und was Sie den Deutschen als Präsident geben können.Wulff: Drei Jahrzehnte in Beruf und Politik geben gerade eine gute Grundlage, um den Graben zwischen Bürgern und Politik zu verkleinern. Viele finden auch, dass Sie ein reiner Partei-Präsident wären. Sie haben Karriere gemacht in der CDU, Sie sind nominiert worden von Union und FDP. Wie wollen Sie überparteilich zusammenführen?Wulff: Deutschland hat gute Erfahrungen mit seinem Bundespräsidenten gemacht. Acht unserer neun bisherigen Bundespräsidenten hatten vor ihrer Wahl auch jahrzehntelange Erfahrungen im politischen Raum. Diese Erfahrungen sind wichtig, gleichzeitig gilt es, einen Rollenwechsel zu vollziehen. Alle meine Vorgänger haben diesen Rollenwechsel geschafft. Insofern bin ich optimistisch, zumal ich auch in der Vergangenheit Menschen überparteilich zusammengeführt habe. Dort, wo man mich besonders kennt, in Niedersachsen, erfahre ich eine Zustimmung von 77 Prozent. Das ist nur parteiübergreifend möglich.Was halten Sie von Ihrem Konkurrenten Joachim Gauck?Wulff: Joachim Gauck ist eine integere Persönlichkeit mit einer beeindruckenden Biografie. Und was von Luc Jochimsen?Wulff: Ihre Weigerung, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen, am 17. Juni, dem Tag des Volksaufstandes in der früheren DDR, spricht Bände.Welcher Bundespräsident ist Ihnen ein Vorbild?Wulff: Wir hatten großes Glück mit unseren bisherigen Bundespräsidenten. Alle haben auf ihre Art wichtige Akzente gesetzt und Themen vorangetrieben. Einen herauszuheben, fällt schwer. Gerade aber Roman Herzog zum Beispiel zur Bildung und Horst Köhler zu den Finanzmärkten haben gezeigt, dass hohe Sachkompetenz in Verbindung mit einer großen Nähe zu den Menschen dem Amt die besondere Würde verleiht, die es braucht, um in schwieriger Zeit Orientierung zu geben.Horst Köhler hat eine starke Distanz zum Politikbetrieb erkennen lassen und war deshalb beim Volk beliebt. Bei den Berliner Politikern allerdings weniger. Wird es bei Ihnen umgekehrt sein?Wulff: Beides ist wichtig. Politik ist durch die internationalen Verflechtungen bei Klimaschutz, Finanzordnung und Terrorbekämpfung noch sehr viel komplizierter geworden, weil manches national nicht mehr zu lösen ist. Ich mache die Erfahrung, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in den letzten Jahren sehr stark verändert haben aufgrund anderer Anforderungen und sich nunmehr auch der Staat und die Parteien und seine Institutionen öffnen und verändern müssen. Um das anzustoßen und voranzubringen, kommt mir meine politische Erfahrung gewiss zugute und auch die vielen Kontakte zu Entscheidungsträgern. Allerdings will ich vor allem Sprachrohr der zunehmend verdrossenen Bürgerinnen und Bürger sein. Trauen Sie sich zu, Angela Merkel auch mal in die Parade zu fahren?Wulff: Der Bundespräsident muss auch unangenehme Wahrheiten aussprechen. Das Einmischen in die Tagespolitik gehört nicht dazu.Sie können gleich mal unangenehm sein: Ist das Sparpaket der Bundesregierung sozial gerecht?Wulff: Das Ungerechteste wäre es, weiter Schulden zu machen und damit die kommenden Generationen zu belasten. Der entscheidende Schlüssel zu mehr Gerechtigkeit ist Teilhabe durch Bildungschancen, durch eine bessere frühkindliche Förderung, Ganztagsschulen, Betreuung und aufsuchende Sozialarbeit. Da muss mehr passieren.Heißt das auch, die Koalition sollte nachbessern und Vermögende stärker belasten?Wulff: Es ist heute schon so, dass die oberen 25 Prozent der Einkommensbezieher über 80 Prozent aller Einnahmen des Staates aus der Lohn- und Einkommensteuer bestreiten. Im Übrigen werden Vorschläge der Regierung anschließend im Bundesrat und Bundestag beraten und gegebenenfalls Veränderungen vorgenommen, wenn bessere Alternativen vorgelegt werden. Was würde der Schwerpunkt Ihrer Präsidentschaft werden?Wulff: Mein Thema ist die "Zukunft". Wir stehen vor einem demografischen Wandel, in wenigen Jahrzehnten sind mehr Menschen älter als 80 Jahre als unter 20. Integration, Zusammenhalt der Gesellschaft und der Generationen, darum wird es, darum muss es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gehen.Haben Sie denn bereits eine Vorstellung davon, wie sich Ihr Leben als Bundespräsident und das Ihrer Familie verändern wird? Immerhin sind Sie auch Vater eines kleinen Kindes.Wulff: Warten wir erst einmal die Wahl ab. Es war bisher keine Zeit, sich allzu sehr Gedanken über diese Fragen zu machen. Aber selbstverständlich würde ich mit meiner Familie Berlin als ersten Wohnsitz wählen und von dort aus tätig sein.Herr Wulff, zum Schluss: Wie sicher sind Sie, dass es im ersten Wahlgang am Mittwoch klappen wird?Wulff: Ich verbreite keine Prognosen. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass es eine Mehrheit für mich gibt.

Am RandeDie Linkspartei hat ein striktes Handyverbot für alle Anwesenden bei der Auszählung der Stimmen zur Bundespräsidentenwahl am 30. Juni gefordert. Es bestehe dringender Handlungsbedarf, weil das Ergebnis bei der Wiederwahl von Horst Köhler im Mai letzten Jahres von Abgeordneten bereits vorab publik gemacht worden sei, sagte gestern der Geschäftsführer der Linksfraktion, Alexander Ulrich. dpa Der Radfahrer, der am Mittwoch in München vom Wagen des Bundespräsidenten-Kandidaten Joachim Gauck angefahren wurde, bleibt auf der Intensivstation. "Er hat ein schweres Schädel-Hirn-Trauma", sagte ein Sprecher der Münchner Polizei. "Sein Zustand ist aber stabil." Nach dem Besuch Gaucks im bayerischen Landtag hatte seine Limousine den 29 Jahre alten Mann am Mittwoch erfasst. dpa

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