"Ich kann mir nicht vorstellen, dass es zwei Deutschlands gibt"

Typisch Ossi? Typisch Wessi? - Damit können Mara, Milan und Georg gar nichts anfangen. Die drei Studenten sind sogenannte Einheitsbabys, geboren am 3. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland. Am Sonntag feiern sie alle ihren 20. Geburtstag

Typisch Ossi? Typisch Wessi? - Damit können Mara, Milan und Georg gar nichts anfangen. Die drei Studenten sind sogenannte Einheitsbabys, geboren am 3. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland. Am Sonntag feiern sie alle ihren 20. Geburtstag. Vom Tag seiner Geburt weiß Georg Frenck (Foto: Frenck) eine ganz eigene Geschichte zu berichten: "Mein Vater hat am Abend des 2. Oktober 1990 die ganze Zeit auf die Uhr geguckt und gedacht: Warte noch ein paar Minuten, nur ein paar Minuten." In der Erwartung, dass sein Sohn eben just zum Tag der Deutschen Einheit geboren würde. Um 3.30 Uhr am Morgen des 3. Oktober war es dann soweit. Schon kurz danach erschien der erste Artikel über das Einheitsbaby.Geburtstag immer an einem Feiertag - das hat nach Ansicht von Mara Geider (Foto: Welter) seine Vorteile, "schließlich kann man immer reinfeiern". "Meine Eltern haben mir natürlich erklärt, warum das so ist. Was der Tag wirklich bedeutet, habe ich habe aber erst im Laufe der Jahre verstanden." Ab Oktober studiert die Saarländerin in Saarbrücken Romanistik. Für Milan Courtpozanis (Foto: Courtpozanis) ist es "eine große Ehre, an diesem Tag, dem Einheitstag, geboren zu sein - nicht nur, weil ich politisch sehr interessiert bin. Meiner Meinung nach hätte man die DDR auch nicht fallen lassen dürfen. Es war auch eine sehr große Verpflichtung, diese Einheit einzugehen. Ohne die wäre die Perspektive für die DDR sehr schwarz gewesen".Georg Frenck kennt den Osten wie den Westen. Sein Vater stammt aus Kassel, die Mutter aus Leipzig. Zurzeit lebt er in Saarbrücken, davor verbrachte er einen Großteil seiner Kindheit in Cottbus. Künftig studiert er in Münster Mathematik. Er erinnert sich: "Zum ersten Mal ist mir das Datum in der Grundschule aufgefallen, als wir auf den Kalender geschaut und festgestellt haben: Das ist der Tag der Deutschen Einheit. Was das bedeutet, war mir damals allerdings nicht klar. Es war aber komischerweise jedes Jahr an meinem Geburtstag frei. Deshalb konnte ich nie in der Schule erzählen, was für schöne Geschenke ich bekommen hatte - das hat mich als Kind schon geärgert."Mara Geider kennt die neuen Länder noch nicht, ist aber neugierig. Eine ihrer Freundinnen studiert in Rostock, die will sie besuchen. Kontakte zu Ostdeutschen hat sie unter anderem durch ihren Job in der Gastronomie, sei es durch Kollegen, sei es durch Gäste. "Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschen bemerke ich keine", sagt sie, "höchstens im Dialekt. Aber das merke ich auch, wenn der Gast aus Bayern kommt."Milans Mutter ist als Kind griechischer Einwanderer in Deutschland geboren, sein Vater ist Deutscher. Vielleicht denkt er deshalb gerne über Grenzen hinaus. "Ich bin stolz, dass wir die DDR aufgenommen haben. Davon abgesehen glaube ich aber, dass Nationalstaaten in Zukunft unwichtiger werden und Europa dafür umso wichtiger. Der nächste Schritt muss die weitere europäische Einigung sein", sagt der angehende Psychologie-Student. Einer Umfrage vom März zufolge wünscht sich 20 Jahre nach dem Ende der DDR jeder vierte Deutsche die Mauer zurück. So etwas kann Milan durchaus empören. "Ich finde solche Aussagen fatal. Die Leute haben wohl die Verpflichtung nicht begriffen, die in der Wiedervereinigung lag."Und wie denkt Georg Frenck darüber? "Die meisten Leute, die das sagen, wissen wohl nicht, wie es früher war. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass es zwei Deutschlands gibt. Ich verleugne auf keinen Fall, dass es Unterschiede gibt. Ich bin aber in einem Deutschland aufgewachsen, und deshalb habe ich dazu eine ganz andere Sichtweise als meine Eltern. Ich kenne keine Unterschiede. Als Jugendlicher hatte ich - egal, ob ich im Westen oder im Osten gewohnt habe - die gleichen Probleme, die man als Jugendlicher eben hat. Ich bin in die Schule gegangen, habe Sport gemacht, habe Musik gemacht." Auch Mara Geider sagt: "Ich bin der Meinung, Deutschland gehört zusammen. Es ist Schwachsinn, ein Land zu teilen, wo alle dieselbe Sprache sprechen."Geboren am 3. Oktober 1990 - die Biografie von Mara, Milan und Georg wird immer mit der deutschen Geschichte verbunden bleiben. Eines ist ihnen zumindest gewiss: Sie werden an diesem Tag nie arbeiten müssen. Ihr persönlicher Feiertag ist der deutsche Feiertag schlechthin.

Hintergrund23 Prozent der Ostdeutschen und 24 Prozent der Westdeutschen finden, es sei "manchmal wünschenswert, es gäbe die Mauer noch". Das ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Emnid im März dieses Jahres. 15 Prozent (Ost) und 16 Prozent (West) sagen den Angaben zufolge sogar: "Etwas Besseres könnte gar nicht passieren."Damit hat die Ablehnung sogar zugenommen. 2007 war es nur jeder Fünfte der so dachte. Das hatte das Forsa-Institut ermittelt. Größere Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen habe es nicht gegeben, teilten das Institut damals mit. red

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