„Ich habe eine solche Feindseligkeit noch nicht erlebt“

Brüssel · Der Luxemburger Juncker ist gegen den heftigen Widerstand Großbritanniens als Präsident der EU-Kommission nominiert worden. Die Entscheidung vertieft die Gräben innerhalb der Union.

David Cameron ist geladen, als er am Freitagmorgen in Brüssel das Ratsgebäude zum EU-Gipfel betritt. "Es ist wichtiger, zu seinen Überzeugungen zu stehen, als etwas zu tun, das man für grundlegend falsch hält", schleudert er den Journalisten entgegen. "Und Jean-Claude Juncker ist definitiv der falsche Mann." In der Lobby des Sitzungssaals gibt es diesmal keinen lächelnden Handschlag mit der deutschen Kanzlerin oder dem französischen Staatspräsidenten. Cameron, den die offizielle Sitzordnung zufälligerweise an das Ende des langen Tisches für die 28 Staats- und Regierungschefs sortiert hat, steht noch kurz mit der dänischen Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt zusammen. Ein Blatt wird hereingereicht. Fast schon empört zeigt er es herum. Es enthalte einige Äußerungen Junckers, heißt es.

"Ich habe eine solche Feindseligkeit noch bei keinem europäischen Gipfeltreffen erlebt", sagt später ein Tagungsteilnehmer. "Der Mann stilisiert sich zum Märtyrer hoch, um zuhause gut auszusehen", meint ein anderer. Thorning-Schmidt bemüht sich noch, dem Konflikt zwischen dem Briten und dem Rest der EU die Schärfe zu nehmen. "Was wir tun, ist bedeutender als wer es tut." Aber Cameron ist in Kampfstimmung. "Egal, wie hart es ist, ich werde es zu Ende bringen", twittert er am Vormittag. In der Nacht hatten mehrere Regierungschefs versucht, den Briten einzufangen. Am Freitagmittag sitzen Angela Merkel und Cameron plötzlich mit ihren Beratern in einem Nebenraum, um einen letzten Versuch der Einigung zu wagen. Vergeblich. "Ich habe den Regierungschefs gesagt, es könne einen neuen Prozess zugunsten der EU geben, wenn man einen anderen Kommissionspräsidenten sucht", sagt Cameron später selbst. So aber bleibt er dabei: Als es zum Schwur kommt, besteht der Premier auf einer Abstimmung fürs Protokoll. 26 Ja-Stimmen, zwei Ablehnungen. Neben dem Briten hat auch Viktor Orban aus Ungarn an seinem Nein zu dem ehemaligen Luxemburger Kollegen festgehalten.

Juncker sitzt derweil in einem offenen Hemd ohne Krawatte in einem nahen Lokal und wartet ab. Zu sprechen ist er nicht, macht er klar. Schon seit Wochen schweigt der 58-Jährige, der als Premier 18 Jahre selbst dem EU-Gipfel angehörte und weiß, wie es dort läuft. Er bemüht sich, locker zu wirken. Als das Ergebnis kommt, lächelt er, wird dann aber schnell wieder ernst, als ahne er die Last, die jetzt vor ihm liegt.

Der EU-Gipfel hat ein Tabu gebrochen. Zum ersten Mal tritt eine Entscheidung in Kraft, obwohl es zwei Gegenstimmen gab. Die jahrelange Einigkeit ist dahin. "Er wollte die Niederlage", sagt ein Diplomat. "Er wollte verlieren, die EU vorführen, um zuhause als der bessere Europa-Gegner dazustehen." Großes Unverständnis schlägt Cameron entgegen, der nun vor dem Problem steht, mit dem Mann an der Spitze der Kommission arbeiten zu müssen, den er so bekämpft hat.

Am 16. Juli soll Juncker vom EU-Parlament gewählt werden - ein Akt, der als reiner Vollzug gilt. Doch dem ist nicht so. In beiden großen Fraktionen hat Juncker Gegner. "Nicht auszudenken, wenn der Kandidat nach dem Theater im Rat nun im Parlament scheitern würde", sagte ein Diplomat. Als die Gipfel-Teilnehmer Brüssel verlassen, herrscht eine beklemmende Atmosphäre.

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