"Ich bin mit mir im Reinen""Ein Führungswechsel in der Finanzkrise ist nicht ohne Risiko"

Berlin. Am Ende wird Hartmut Mehdorn immer leiser. "Ein Führungswechsel ist in solch schwieriger Lage nicht ohne zusätzliches Risiko", erklärt der Bahnchef mit brüchiger Stimme. Aber das müssten nun "andere verantworten". Obgleich er beim "so genannten" Datenskandal mit sich "im Reinen" sei, biete er seinen Rücktritt an. Da ist Mehdorn den Tränen nah

 Der Stuhl von Bahnchef Hartmut Mehdorn soll noch in dieser Woche neu besetzt werden. Über geeignete Nachfolger wird spekuliert. Foto: dpa

Der Stuhl von Bahnchef Hartmut Mehdorn soll noch in dieser Woche neu besetzt werden. Über geeignete Nachfolger wird spekuliert. Foto: dpa

Berlin. Am Ende wird Hartmut Mehdorn immer leiser. "Ein Führungswechsel ist in solch schwieriger Lage nicht ohne zusätzliches Risiko", erklärt der Bahnchef mit brüchiger Stimme. Aber das müssten nun "andere verantworten". Obgleich er beim "so genannten" Datenskandal mit sich "im Reinen" sei, biete er seinen Rücktritt an. Da ist Mehdorn den Tränen nah. Er steht auf, sagt noch "vielen Dank" und eilt vom Podium.

Viele Beobachter im Berliner Nobelhotel Marriott sind erstaunt über die Wendung. Die Bahn hat zur Bilanzpressekonferenz über das Geschäftsjahr 2008 geladen, und mehr als eine Stunde lang tut Mehdorn so, als ginge es nicht um ihn. Er präsentiert eine Erfolgszahl nach der anderen. Selbst als ein Journalist Mehdorn drängt, er solle sich doch erst einmal zu den entsprechenden Gerüchten äußern, bleibt der Vorstandchef kühl und gelassen: "Sie werden sich gedulden müssen, auch wenn es Ihnen schwer fällt."

Die eigenwillige Dramaturgie des Rücktritts bringt die Politik vorübergehend in Erklärungsnot. Als die turnusmäßige Bundespressekonferenz am Montagmittag verschoben wird, ist klar, dass eine Entscheidung in der Luft liegt. Nur wann? Schließlich beginnt die Pressekonferenz, aber Mehdorn ist im Marriott noch immer mit den Bilanzzahlen beschäftigt. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagt deshalb nichts zur Personalie, sondern nur, dass man die "Form wahren" und dem Ergebnis der Bahn-Pressekonferenz nicht vorgreifen werde.

Dann geht alles ganz schnell. Um kurz nach 12 Uhr verliest der Bahnchef eine Erklärung. Von Reue oder Schuld ist sie allerdings weit entfernt. Mehrfach betont Mehrdorn, dass es bei der Datenaffäre inklusive der massenhaften Überprüfung von Mitarbeiter-Mails keinerlei strafrechtliche Fehlhandlungen gegeben habe. Die "zerstörerischen Debatten" müssten beendet werden, weil sie der Bahn, "ja dem ganzen Land" schadeten. Daher habe er beim Aufsichtsratsvorsitzenden Werner Müller um die Auflösung seines Vertrages nachgesucht.

Bereits wenige Minuten später geht die Stellungnahme der Bundesregierung über die Agenturen. Mehdorns Rücktrittsangebot sei "mit Respekt zur Kenntnis" genommen worden. Es ist die diplomatische Umschreibung für einen unausweichlichen Schritt, nachdem Mehdorn nicht nur das Vertrauen der Gewerkschaften eingebüßt hatte, sondern auch den Rückhalt von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Eigentlich wollte die Regierungschefin das Problem Mehdorn bis zur Bundestagswahl aussitzen. Danach, so die Überlegung, könnte die Union ohne SPD regieren und einen ihr genehmen Nachfolger benennen. Mehdorn war noch unter Merkel-Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) ins Amt gekommen. Allein, die immer neuen Enthüllungen über groß angelegte Mitarbeiter-Überprüfungen und die wachsende öffentliche Empörung zwangen das Kanzleramt zum Umdenken. Mehdorn blieb keine Wahl mehr.

Wie es nun an der Spitze des Staatskonzerns weitergehen soll, bleibt zunächst offen. Nach Angaben von Vize-Kanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) soll darüber noch möglichst in dieser Woche entschieden werden. Leicht dürfte es aber nicht sein, einen Nachfolger von Mehdorns Format zu finden. Zwar gilt der 66-jährige Vater dreier Kinder wegen seiner notorischen Rauflust und Selbstgerechtigkeit als schwierig. An seinen Verdiensten als Manager gibt es aber wenig zu deuteln. Innerhalb von nur zehn Jahren formte Mehdorn aus dem schwerfälligen Beamten-Koloss Bahn ein profitables Unternehmen, das auch im europäischen Maßstab vielen Konkurrenten davon fährt. Die jüngste Bahnbilanz liest sich dann auch zum Teil wie eine persönliche Erfolgsgeschichte Mehdorns. 2008 habe man den Gewinn nochmals um fast fünf Prozent auf 2,5 Milliarden Euro steigern können, verkündet der Vorstandschef zum Auftakt der Bilanzpressekonferenz stolz. Nun muss er sich eine andere Herausforderung suchen. Berlin. Bahnchef Mehdorn hat gestern in einer vierseitigen Erklärung seinen Rücktritt angekündigt. Wichtige Passagen:

"Der Vorstand der DB AG hat, wie ich immer gesagt habe, zu keinem Zeitpunkt derartige Datenabgleiche, E-Mail-Untersuchungen, Aufträge an Detekteien oder Verstöße gegen geltendes Recht veranlasst und auch nichts davon gewusst. Das alles, davon bin ich überzeugt, wird die laufende Untersuchung auch bestätigen. Leider hat sich die Diskussion jedoch längst von den Fakten abgekoppelt."

"Vorverurteilungen, Verdächtigungen und Spekulationen haben ein Ausmaß angenommen, die selbst für mich - der einiges gewohnt ist - schwer erträglich sind. In einer solch aufgeheizten Atmosphäre ist eine faire Erörterung dieser teils sehr komplexen rechtlichen Fragen nicht mehr möglich. Selbstverständlich trage ich als Vorstandsvorsitzender die Gesamtverantwortung für das, was in der Deutschen Bahn passiert. Und zwar unabhängig davon, ob ich es gewusst habe oder nicht. Dieser Verantwortung will ich mich nicht entziehen."

"Sie wissen, wir erleben die schlimmste Rezession in der Nachkriegsgeschichte. Ein Führungswechsel ist in solch schwieriger Lage nicht ohne zusätzliches Risiko. Aber das müssen andere verantworten." dpa

Meinung

Mehdorn weg, nichts gut

Von SZ-Korrespondent

Werner Kolhoff

Es ist, als verabschiedete sich ein Fußballer, der beim Trainer wegen schlechten Benehmens in Ungnade gefallen ist, mit einer Tor-Gala vom Publikum. Hartmut Mehdorn legte gestern noch einmal eine blitzsaubere Bilanz vor, nicht zum ersten Mal. Der scheidende Bahn-Chef hat aus dem Staatsunternehmen einen florierenden Konzern gemacht, das bleibt. Aber es zählt am Ende nicht. Bei diesem speziellen Unternehmen muss der Chef auch das Vertrauen der Politik und der gesamten Öffentlichkeit genießen. Das hatte Mehdorn zuletzt nicht mehr und wahrscheinlich nie.

Mit Mehdorns Rücktritt ist nichts geklärt. Nicht, wie es in Unternehmen generell um den Datenschutz der Mitarbeiter bestellt ist. Und nicht geklärt ist, wie es bei der Bahn weitergeht. Die von Mehdorn angestrebte Privatisierung blieb umstritten. Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Parteien der großen Koalition in der Wahlkampfphase noch auf ein Konzept für die Bahn von morgen einigen werden, das sie in den Jahren vorher nicht fanden. Ohne eine solche Entscheidung aber fehlen jedem Nachfolger die Koordinaten.

Auf einen Blick

Die wichtigsten Etappen des Datenskandals:

21. Januar 2009: Die Deutsche Bahn bestätigt, dass mehr als 1000 leitende Mitarbeiter ohne Anhaltspunkte auf Korruptionsverdacht überprüft wurden.

28. Januar: Der Skandal hat größere Ausmaße als bisher vermutet. Es wird bekannt, dass insgesamt rund 173 000 Mitarbeiter überprüft wurden. Die Daten wurden mit jenen von 80 000 Firmen abgeglichen, zu denen die Bahn Geschäftsbeziehungen hatte.

3. Februar: Die Bahn bestätigt, dass auch 2005 Daten abgeglichen wurden. In Aufsichtsratskreisen wird die Zahl von knapp 220 000 Beschäftigten genannt. Nach heftiger Kritik räumt Bahnchef Hartmut Mehdorn in einem Mitarbeiterschreiben erstmals Fehler ein.

6. Februar: Der Konzernbetriebsrat akzeptiert eine Entschuldigung Mehdorns. Die Gewerkschaften Transnet und GDBA stellen der Bahn ein Ultimatum für die Aufklärung der Datenaffäre.

10. Februar: Bei internen Ermittlungen wurden zwei weitere Aktionen in den Jahren 1998 und 2005/2006 entdeckt. Der Leiter der Konzernrevision, Josef Bähr, wird beurlaubt.

12. Februar: Wegen möglicher Verstöße gegen das Datenschutzgesetz wird gegen Mehdorn und andere Verantwortliche ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

18. Februar: Der Aufsichtsrat legt die Aufklärung der Affäre in die Hände der Rechtsanwälte und früheren Bundesminister Gerhart Baum (FDP) und Herta Däubler-Gmelin (SPD). Mehdorn wird die Zuständigkeit entzogen.

4. März: Am Rande einer Befragung Mehdorns im Verkehrsausschuss des Bundestages werden neue Vorwürfe laut. Es geht um anonyme Hinweise auf Aktenvernichtung und angebliche Behinderungen bei den Aufklärungsarbeiten. Mehdorn weist die Vorwürfe zurück.

 Der Stuhl von Bahnchef Hartmut Mehdorn soll noch in dieser Woche neu besetzt werden. Über geeignete Nachfolger wird spekuliert. Foto: dpa

Der Stuhl von Bahnchef Hartmut Mehdorn soll noch in dieser Woche neu besetzt werden. Über geeignete Nachfolger wird spekuliert. Foto: dpa

27. März: Neue Anschuldigungen bringen Mehdorn in Bedrängnis. Die Deutsche Bahn soll unabhängig von der Korruptionsbekämpfung auch E-Mails von Mitarbeitern überprüft haben. dpa

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