Huberts Wahlkampf aus dem Kofferraum
Saarlouis. Sonnenschirm, Plakate, Aufkleber und Luftballons - aus dem Kofferraum des Ford Mondeo kommt nach und nach alles, was der Straßenwahlkämpfer braucht. Klipp, klapp - mit geübten Handgriffen baut Grünen-Landeschef Hubert Ulrich, der diesen Sommer "allzeit bereit" einen Infostand in seinem Auto durchs Land kutschiert, den Tisch vor der Post in Saarlouis auf
Saarlouis. Sonnenschirm, Plakate, Aufkleber und Luftballons - aus dem Kofferraum des Ford Mondeo kommt nach und nach alles, was der Straßenwahlkämpfer braucht. Klipp, klapp - mit geübten Handgriffen baut Grünen-Landeschef Hubert Ulrich, der diesen Sommer "allzeit bereit" einen Infostand in seinem Auto durchs Land kutschiert, den Tisch vor der Post in Saarlouis auf.
Ein Bistro-Tisch. Der Teufel, weiß der oberste Grüne im Land, kann bei politischer Überzeugungsarbeit selbst im Detail eines harmlosen Möbels stecken: "Der Tisch muss klein sein, sonst schreckt er die Leute ab. Wir wollen uns ja nicht dahinter verstecken. "
Wir - das sind an diesem Morgen neben Ulrich auch Claudia Beck, Mitglied im Landesvorstand der Grünen und Direktkandidatin für die Bundestagswahl im Wahlkreis Saarlouis, und Nicole Poncelet aus dem Saarlouiser Kreisvorstand und dem Gemeinderat Saarwellingen. Während deren Sohn Max noch müde in seinem Buggy sitzt, kneift der 1,90-Meter-Recke Hubert Ulrich die Augen zusammen und hält wie ein Feldherr Ausschau nach dem potenziellen Grünen-Wähler.
"Schnell, Nicole, gebb' ma mo dat Flickzeisch", kommt Sekunden später sein Kommando. In der Ferne hat Ulrich einen Radfahrer erspäht. Poncelet greift in einen Karton. Zum Vorschein kommt ein grünes Kästchen mit Fahrrad-Flickzeug. Ein Werbegeschenk, das die ökologischen Ur-Instinkte wecken soll.
Seit etwa einem halben Jahr macht der 51-jährige Ulrich, der im Oktober zum vierten Mal Vater wird, Wahlkampf. Im Moment fast täglich. Oft um die zwölf Stunden. Werben. Schmeicheln. Überzeugen. Im Dauerlauf. Ohne schlappzumachen? "Der Hubert? Näh! Der is zäh!", sagt Mit-Wahlkämpferin Beck über ihren Chef. Insgesamt 15 Jahre ist der gelernte Werkzeugmacher und Diplom-Wirtschaftsingenieur Ulrich Landesvorsitzender der Grünen. Länger als als alle anderen derzeitigen Parteiführer im Saarland.
Aufgeben ist nicht sein Ding. Auch nicht, wenn er lädiert ist. Wie neulich beim Triathlon in Merzig. Der Neopren-Anzug war zu eng. Ulrich bekam keine Luft mehr und Panik. Er schwamm zurück ans Ufer, zog den Anzug aus und machte in der Badehose weiter. Obwohl er weit zurücklag, holte er den letzten Schwimmer noch ein. Und kam ans Ziel.
Guido Bodo hat es heute nicht eilig. Der Mitarbeiter der Ford-Werke genießt seinen Urlaub. Er radelt von Saarlouis nach Saarburg, als sich ihm sein Ex-Nachbar Hubert Ulrich in den Weg stellt. "Das mit dem geschenkten Flickzeug ist 'ne feine Sache", findet Bodo nach dem Schnack mit Ulrich, "heute kann ich es ja gut gebrauchen." Beeinflusst das Präsent sein Wahlverhalten? "Nö. Wen ich am 30. August wähle, muss ich mir noch überlegen." Auch wenn Ulrich, anders als Lafontaine, einer sei, den er ernst nehme. "Lafo sagt nur, mehr Geld für den kleinen Mann, aber wo will er es denn hernehmen?", stößt Bodo hervor und verabschiedet sich mit einem kräftigen Tritt in die Pedale.
Bis in das Bürgerbüro von Oskar Lafontaine in der Saarlouiser Silberherzstraße dringen diese Worte nicht. Die Räume des Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag liegen um die Ecke von Ulrichs Infostand. Vorbeizuschauen käme Ulrich nicht in den Sinn. "Nichts zieht mich zu ihm hin", sagt er über den Mann, der ihm vorgeworfen hat, Koalitions-Absprachen mit der CDU getroffen zu haben. Ulrich: "Diese Lüge hat nur dazu geführt, dass sich unsere grüne Wählerschaft solidarisiert."
Die grüne Wählerschaft. Sie bekommt am Infostand ein Gesicht. Eben war es das einer jungen Mutter. Jetzt ist es das eines Mannes. Freundlich ist es, untersetzt, darunter quillt das Brusthaar aus dem halb offenen Hemd. "Ich wähle auf jeden Fall grün. Geld kann man nicht essen. Wir müssen die Natur bewahren", hebt der Enddreißiger an. Ulrich nickt. "Ich überlege, ob ich Euch beitrete. Wo ist Euer Büro?" "Hier, in meinem Mondeo - da liegt ein Anmeldeformular", antwortet Ulrich, zeigt auf sein Auto und lacht. "Jetzt gleich? Nee, das geht mir zu schnell." Achselzucken bei Ulrich. Manchmal hängt es beim Straßenwahlkampf eben doch nicht nur am Tisch.
Saarlouis ist Ulrichs Hochburg, seine Heimatstadt. Hier hat er in den 80ern die Menschen bedient: Als Theker im "Humpen", seiner Stammkneipe, "der grünen Keimzelle". Und mit politischer Kärrnerarbeit. Er initiierte eine Städtepartnerschaft mit Matiguas in Nicaragua und baute den Alten Betriebshof auf, einen kulturellen Treffpunkt.
Während in der "guten alten Zeit" noch Joschka Fischer mit Ulrich im "Humpen" saß, sind es jetzt fünf verzweifelte Bauern, die hier auf ihn warten. Sie machen hohe Verluste. Die niedrigen Milchpreise setzen ihnen zu. Potenzielle Wähler, denen das Wasser bis zum Hals steht. Im schummrigen Kneipenlicht legen sie all ihre Hoffnungen auf Hubert Ulrich.
Dessen Zeit ist knapp. Fritz Kuhn, der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, wartet gleich in Saarbrücken. Mit ihm ein Pressegespräch. Und ein Infostand. Vielleicht auch noch ein Abendtermin. Mal sehen.
Ulrich wirkt trotzdem konzentriert. Er fragt viel, versucht binnen Minuten zum Fachmann für Milchkühe, EU-Recht, flexible Mengensteuerung und nicht vorhandene neuseeländische Stallungen zu werden.
Nebenher erklärt er den Bauern, die auf schnelle Hilfe hoffen, dass Politik Geduld braucht: Taktik, Strategie, "das sind langwierige Mechanismen". Mächtig sei nur der, der regiert. Er selbst sei in der Opposition. Mit einem Blick auf die Uhr lautet sein Fazit: "Konkret machen kann ich jetzt nichts. Wenn wir es schaffen mitzubestimmen, dann kommen Sie nach der Wahl wieder auf mich zu." Händeschütteln. Dann bleiben die ernüchterten Gesichter bei einer Apfelschorle zurück. "Schnell, Nicole, gebb' ma mo dat Flickzeisch."
Der Grünen-Landesvorsitzende Hubert Ulrich beim Verteilen von Werbegeschenken