Hollande zittert vor den roten Bretonen

Paris/Quimper · Weil die Regierung Jahresgehälter über einer Million Euro mit 75 Prozent besteuern will, wollen die betroffenen Fußball-Clubs streiken. Und riskieren damit einen Imageverlust – auch bei ihren eigenen Fans.

Ein Hauch von Revolution wehte am Wochenende durch die Straßen der nordwestfranzösischen Stadt Quimper. Gewaltausbrüche inklusive. Während einige der Demonstranten Pflastersteine, Blumentöpfe und Sprengsätze gegen Sicherheitskräfte warfen, versuchten andere, den Eisenzaun zur Präfektur zu erklimmen. Die Polizei, die mit einem Großaufgebot angerückt war, setzte Tränengas und Wasserwerfer gegen die Menge ein. Es gab mehrere Leichtverletzte. Bis zu 30 000 Menschen aus der ganzen Bretagne hatten sich dem Demonstrationszug angeschlossen, um gegen Stellenstreichungen in ihrer Region, Steuererhöhungen und die umstrittene Ökosteuer für Schwerlastwagen zu protestieren. Dass Regierungschef Jean-Marc Ayrault die Umweltabgabe wenige Tage zuvor ausgesetzt hatte, um die Widerstandsbewegung zu bremsen, beruhigte die bretonischen Gemüter nicht.

"Es wäre ein Fehler, die Bewegung zu reduzieren auf einen Wutaufstand gegen die Ökosteuer. Heute drückt sich eine allgemeinere Sorge über die Zukunft der Bretagne aus", sagte Christian Truadec, linker Bürgermeister des Städtchens Carhaix und einer der Organisatoren der Demonstration. "Dieser Tag wird in die Geschichte eingehen", verkündete er. Die Teilnehmer des Demonstrationszuges schwenkten die schwarz-weiße Flagge der Bretagne, luden gelbe, rote und orangefarbene Chrysanthemen en masse auf dem "Platz des Widerstandes" ab und hielten Spruchbänder mit Aufschriften wie "Recht auf Arbeit", "Der Franzose ist keine Milchkuh" oder "Hollande Rücktritt". Mit Sinn für Symbolik hatten sich tausende von ihnen rote Mützen aufgesetzt, die die Bekleidungsfirma Armor Lux zum Einkaufspreis anbot. Sie spielten damit auf die regionale Protestbewegung "Revolution der roten Mützen" im Jahr 1670 an, als sich das ebenfalls rot bemützte bretonische Volk gegen neue Steuern wehrte, die Jean-Baptiste Colbert, Finanzminister des Sonnenkönigs Ludwig XIV., erheben wollte.

Der Historiker Alain Croix sieht tatsächlich Parallelen zwischen damals und heute: "In den Jahren nach 1670 erlebte die Region einen Einbruch der Konjunktur nach einem Goldenen Zeitalter. Der Kontext dieser Zeit erinnert zumindest in mancher Hinsicht an den aktuellen." Gehörte die Bretagne, die stark von der Lebensmittelindustrie und der Landwirtschaft lebt, lange zu den wirtschaftlich florierenden Teilen Frankreichs, so erlebte sie zuletzt eine Serie von Massenentlassungen bei Lachs- und Geflügelproduzenten, Schweine-Schlachtbetrieben und in der Elektronik-Industrie. Troadec zufolge verlor die Region im vergangenen Jahr rund 8000 Arbeitsplätze, tausende weitere sind bedroht. Mit 9,4 Prozent liegt die Arbeitslosigkeit zwar immer noch leicht unter dem Landesdurchschnitt. Doch sie steigt.

Der Regierung werfen die Menschen vor, diese lasse sie im Stich und bitte sie stattdessen immer stärker zur Kasse. Das Gefühl, der Steuerdruck habe eine Schmerzgrenze erreicht, herrscht ohnehin längst im ganzen Land vor. Ebenso wie die Angst vor sozialem Abstieg. Sein Versprechen, demnächst eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen, wird Präsident François Hollande längst nicht mehr abgenommen. Nur noch ein Viertel der Franzosen vertraut ihm. Keiner seiner Vorgänger hatte jemals so schlechte Umfrageergebnisse wie Hollande. Das Bild eines unentschlossenen Präsidenten hafte fest an ihm, sagt Meinungsforscher Gaël Sliman. So war die geplante Lkw-Maut nur ein Auslöser für den Aufstand, dessen Heftigkeit überraschte. Zumal die Bretagne auf die Steuer einen Rabatt von 50 Prozent erhalten sollte, da sie durch ihre geographische Abgelegenheit und ihre Abhängigkeit von der Nahrungsmittelindustrie besonders stark betroffen gewesen wäre.

Die Steuer nun auszusetzen, bringt der Regierung Millionenverluste und den Vorwurf des Umkippens ein, auch wenn sie selbst ihre Wendung rechtfertigt. "Mut, das bedeutet nicht Sturheit. Mut, das heißt zuzuhören und zu verstehen", hatte Ayrault erklärt. Doch in ihrem Verhalten werden er und Hollande wohl in erster Linie geleitet von der Furcht, von der Bretagne könne sich die Welle der Unzufriedenheit auf das ganze Land ausbreiten. Wortführer Troadec sagt: "Es brennt. Man bringt nicht zufällig so viele Menschen auf die Straßen." Dieses Mal ist der Präsident hart geblieben. Bei Protesten der Start-Up-Unternehmer, der Bausparer oder der bretonischen Landwirte gegen Steuerpläne, die sie jeweils empfindlich getroffen hätten, war François Hollande bereits zurückgerudert. Doch den Fußball-Clubs gab er nicht nach. Vergeblich forderten ihre Vertreter bei einem Gespräch im Élysée-Palast eine Ausnahme von der Reichensteuer von 75 Prozent auf Gehälter über einer Million Euro (ein zentrales Wahlkampf-Versprechen von Hollande). "Der Präsident hat uns nicht angehört", bedauerte Frédéric Thiriez, Präsident der Vereinigung der Europäischen Fußball-Profiligen (EPFL) nach dem Treffen. Die Steuer bleibt - und die Streikdrohung der Clubs ebenso.

Als Geste des Widerstands wollen die obersten beiden französischen Ligen den Spieltag am letzten November-Wochenende ausfallen lassen. Das haben die Mitglieder des Verbandes der Profi-Fußballclubs (UCPF) beschlossen. Es sei eine "historische Bewegung, eine echte Entschlossenheit, den Fußball zu retten", erklärte UCPF-Präsident Jean-Pierre Louvel.

Der letzte Streik im französischen Fußball liegt 41 Jahre zurück - abgesehen vom Trainings-Boykott der "Équipe Tricolore" bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Handelt es sich diesmal nicht um ein spontanes Aufbegehren, sondern einen institutionell getroffenen Beschluss, so ruft er eine ähnliche Reaktion in der Bevölkerung hervor: Unverständnis und Empörung über die "streikenden Millionäre". "Streik ist den Angestellten von Unternehmen vorbehalten, nicht den Chefs", sagt Michel Tonin, Präsident der Yankees, Fanclub von Olympique de Marseille.

In der Ligue 1 beziehen rund 120 Spieler und Trainer Millionengehälter. Sechs der 20 französischen Profi-Clubs entgehen der Steuer, da fünf von ihnen keine Millionärsgehälter zahlen und der AS Monaco einen Sonderstatus genießt.

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