100 Tage Opposition Höhen und Tiefen im Anti-Groko-Quartett

100 Tage Regierung sind auch 100 Tage Opposition. Eine Vierer-Bilanz von den SZ-Korrespondenten Werner Kolhoff und Stefan Vetter.

Die AfD: Sie wird ihrer Rolle als Oppositionsführerin im Bundestag gerecht – aber auf ihre eigene Art. Die Rechtspopulisten und Neulinge im Parlament verfolgen erst gar nicht das Ziel, Mehrheiten zu finden, es geht ihnen darum, sich gegen alle anderen zu profilieren. Das Parlament wird als Bühne ge- und missbraucht. So legte jüngst ein Abgeordneter während seiner Rede zu einem anderen Thema plötzlich eine „Gedenkminute“ für ein von einem Ausländer ermordetes Mädchen ein und versuchte so, die anderen Parteien vorzuführen. Alles wird sofort in den sozialen Netzwerken verbreitet. In fast allen Redebeiträgen schlägt die AfD den Bogen zur Flüchtlingsfrage, die Anträge und Anfragen beschäftigen sich ebenfalls fast nur damit. Mit den ersten 100 Tagen kann die Partei zufrieden sein – sie ist in den Schlagzeilen und ihre Anhänger fühlen sich bestätigt.

Die FDP: Christian Lindner ähnelt ein wenig dem Fuchs aus der Fabel: Hängen die Trauben zu hoch, will er sie nicht. Und so spricht der FDP-Vorsitzende davon, dass es seiner Partei „nicht um Aufsehen, sondern um Ansehen“ gehe. Tatsächlich treten die Liberalen im Bundestag konstruktiv und seriös auf, mit dem Nebeneffekt freilich, dass sie kaum wahrgenommen werden. Nur zwei Ereignisse stachen bisher heraus: Beim Bamf-Skandal war die FDP neben der AfD die einzige Partei, die einen Untersuchungsausschuss forderte. Und dann gab es noch den Streit zwischen Lindner und Parteivize Wolfgang Kubicki um die Russland-Politik. Lindner hat die Partei ruhig halten können, als er die Jamaika-Verhandlungen beendete. Auch für den Fall eines Groko-Bruchs im Asylstreit bietet er sich nicht als Retter an. Dann müsste es Neuwahlen geben, sagte er gestern.

Die Linke: Die Linkspartei hat einen Verlust zu beklagen. Seit 100 Tagen ist sie nicht mehr Oppositionsführerin im Bundestag. Ihr Kernthema jedoch, die soziale Gerechtigkeit, hat eher noch Aktualität gewonnen. Über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich wird inzwischen vielerorts debattiert. Trotzdem hat die Linke ihre politische Rolle noch nicht gefunden. Das liegt am Dauerstreit zwischen Partei- und Fraktionsspitze und der Flüchtlingsfrage. Das abgrundtiefe Zerwürfnis zwischen der Vorsitzenden Katja Kipping und Fraktionschefin Sahra Wagenknecht trat beim Parteitag in Leipzig jüngst offen zutage. Und alle Konflikte könnten noch an Fahrt gewinnen, wenn es wie von Wagenknecht angekündigt zu einer „linken Sammlungsbewegung“ kommt. Fazit: Wegen Selbstbeschäftigung fällt die Linke für eine wirkungsvolle Oppositionsarbeit aus.

Die Grünen: Die Enttäuschung war riesig, als der Traum von Jamaika platzte und den Grünen schmerzlich zu Bewusstsein kam, abermals kleinste politische Kraft in der Opposition zu sein. Von diesem Schock hat sich die Partei in den letzten 100 Tagen allerdings gut erholt. Das liegt vor allem an der neuen Führungsspitze. Mit Annalena Baerbock und Robert Habeck sind die Querelen in der Chefetage praktisch verschwunden. Nach außen hin stehen die Grünen sehr geschlossen da. Das umso mehr, als die Partei mit dem Thema Ökologie über ein Alleinstellungsmerkmal verfügt, das in der Politik der Groko eine große Leerstelle ist. Intern gehen die Meinungen allerdings auch schon mal auseinander, inwieweit man sich noch als „Regierung im Wartestand“ begreifen soll. Zur Rettung der Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU) stünden die Grünen indes durchaus bereit.

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