Hessens SPD kocht über

Für die hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti muss eine Welt zusammengebrochen sein, als sich gestern Morgen Jürgen Walter, Silke Tesch, Carmen Everts und Dagmar Metzger bei ihr meldeten

 Aus der Traum: Andrea Ypsilantis Hoffnung, hessische Ministerpräsidentin zu werden, ist gestern geplatzt. Vier ihrer Parteigenossen stellten sich gegen sie und lehnten eine Zusammenarbeit mit den Linken ab. Foto: dpa

Aus der Traum: Andrea Ypsilantis Hoffnung, hessische Ministerpräsidentin zu werden, ist gestern geplatzt. Vier ihrer Parteigenossen stellten sich gegen sie und lehnten eine Zusammenarbeit mit den Linken ab. Foto: dpa

Für die hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti muss eine Welt zusammengebrochen sein, als sich gestern Morgen Jürgen Walter, Silke Tesch, Carmen Everts und Dagmar Metzger bei ihr meldeten. Zwei Tage, nachdem ein Parteitag den Koalitionsvertrag mit den Grünen abgesegnet hatte, und nur einen Tag, bevor sie sich mit Unterstützung der Linken zur Ministerpräsidentin wählen lassen wollte, wandten sich die vier Genossen von Ypsilanti ab. Für die 51-Jährige bedeutet dies das brutale Ende ihres großen Ziels, CDU-Regierungschef Roland Koch abzulösen. Das rote "Y", das Symbol ihres Wahlerfolgs, steht nun für eine bittere Niederlage.

Hatte die Darmstädter SPD-Landtagsabgeordnete Dagmar Metzger schon im März den ersten Versuch Ypsilantis zur Machtübernahme vereitelt, brauchten drei ihrer Parteifreunde dagegen länger, um sich offen einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei zu verweigern. Erst ganz kurz vor Schluss zogen Jürgen Walter, Carmen Everts und Silke Tesch die Reißleine.

Jetzt blicken sie ernst ins Blitzlichtgewitter, während sie begründen, was Ypsilantis politisches Ende bedeuten kann. Von Grundwerten ist die Rede und vom "Wechselbad" zwischen innerer Überzeugung und Loyalität zur Partei, von der Sorge vor einem Abdriften der hessischen SPD nach links, von bedrängenden nächtlichen Gedanken: "Du gehst mit Rückgrat in die Wahlkabine, und du kommst ohne Rückgrat wieder heraus - das wäre für mich der falsche Weg", sagt Everts. Das sei ihr erst in den vergangenen Tagen klar geworden. Lange habe sie in der trügerischen Hoffnung auf einen "erträglichen Kompromiss" mit dem eigenen Gewissen gelebt.

Bei Wörtern wie "Gewissen" kommt höhnisches Gelächter aus dem Hintergrund. Dort verfolgen einige Abgeordnete und Mitarbeiter der hessischen Linkspartei die Pressekonferenz der Abtrünnigen. "SPD-Rechte schützen Stahlhelm-Fraktion der CDU" steht auf einem Plakat.

Die vier auf dem Podium haben sich aber anderes vorzuwerfen: "Ich bedauere, dass ich nicht damals schon so mutig war", sagt Tesch mit Blick auf das Frühjahr, als Metzger alleine stand mit ihrer Ablehnung. "Ich wurde oft als wankelmütig und inkonsequent kritisiert - zu Recht!", erklärt Walter im Büßerton. Schon beim Landesparteitag am Samstag hatte Ypsilantis ewiger Gegenspieler sich überraschend gegen den rot-grünen Koalitionsvertrag ausgesprochen - und ließ die Genossen über seine Absichten rätseln. Glaubt man Walters Darstellung von gestern, fiel seine Entscheidung zum Aufstand tatsächlich erst danach. Zuerst hätten sich Tesch und Everts entschlossen und ihn dann beigezogen.

Die übrigen Genossen erfuhren erst gestern von dem Desaster, die meisten von ihnen aus dem Radio. Die Emotionen kochten über: Generalsekretär Norbert Schmitt sprach den Abtrünnigen Verantwortung, Glaubwürdigkeit und menschliche Fairness ab. In Berlin machte das Wort von der "Charakterlosigkeit" die Runde.

Glaubt man den vier SPD-Abgeordneten, haben Ypsilanti und die Parteispitze über Monate hinweg Augen und Ohren verschlossen: "Ich habe regelmäßig meine Bedenken und meine Zweifel geäußert", klagt Tesch. Auf Parteitagen erhielt Ypsilanti zwar große Mehrheiten für ihren Kurs. Doch dass nicht alle Mitglieder ihrer Fraktion hundertprozentig hinter ihr standen, war auch klar. Nachdem im März ein erster Anlauf für ein Linksbündnis gescheitert war, hatte sie im zweiten Versuch viele Gespräche geführt. Sie testete ihr Vertrauen in Probeabstimmungen aus, die erfolgreich für sie verliefen. Es nützte nichts.

Vielmehr steht sie nach dem Rückzug der vier Abgeordneten vor den Trümmern ihres rot-grün-roten Projekts. Somit steht trotz ihres im zweiten Anlauf detaillierten und geduldigen Vorgehens der Vorwurf handwerklicher Fehler im Raum. Doch die gebürtige Rüsselsheimerin wollte ihren gefühlten Wahlsieg in Macht umwandeln. Bei der Wahl am 27. Januar hatte sie Koch schließlich fast besiegt - aber eben nur fast. Die CDU kam auf 36,8 Prozent und die SPD auf 36,7 Prozent. In einer möglichen großen Koalition hätten die Sozialdemokraten damit keinen Anspruch auf das Ministerpräsidentenamt stellen können. Damit lief alles auf Rot-Grün mit Tolerierung durch die Linken hinaus. Trotz mahnender Worte brach Ypsilanti ihr Versprechen: Im Wahlkampf hatte sie jede Zusammenarbeit mit den Linken ausgeschlossen. Jetzt wird es dazu tatsächlich wohl nicht mehr kommen.

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