Held oder Verräter?

Ford Meade · Mehr als drei Jahre sitzt Bradley Manning schon in Haft, nun wird dem mutmaßlichen Informanten der Enthüllungsseite Wikileaks der Prozess gemacht.

Eigentlich könnten sich die Ankläger die Anhörung der 150 Zeugen in dem Prozess gegen Bradley Manning sparen. Bereits vor Beginn der Hauptverhandlung hatte der 25-Jährige im Februar vor Gericht gestanden, mehr als 700 000 Diplomaten-Nachrichten und geheime Militärdokumente an die Internetplattform Wikileaks weitergegeben zu haben. In einer 35-seitigen Stellungnahme bekannte sich der Mann mit dem knabenhaften Aussehen detailliert zum größten Daten-Leck in der Geschichte. Er sei davon überzeugt gewesen, sein Handeln würde "eine innenpolitische Debatte über die Rolle des Militärs und unsere Außenpolitik generell anstoßen", fasste der in Irak stationierte Geheimdienst-Analyst seine Motivation zusammen. Bereitwillig erkannte Manning seine Schuld in zehn Anklagepunkten an. Zusammen brächte ihm dies bei einer Verurteilung 20 Jahre Gefängnis ein.

Doch darauf wollte es die Militär-Staatsanwaltschaft nicht beruhen lassen. "Gemessen an dem Ausmaß des mutmaßlichen Fehlverhaltens, dem Ernst der vorgehaltenen Verbrechen und den Beweisen und Zeugen, die zur Verfügung stehen, beabsichtigen die Vereinigten Staaten mit dem Militär-Tribunal fortzufahren", begründet der kommandierende General die Entscheidung, den Gefreiten wegen zwölf weiterer Punkte anzuklagen. Darunter Spionage und der mit der Todesstrafe geahndete Vorwurf der "Zusammenarbeit mit dem Feind".

Der gestern eröffnete Prozess ließ schon zuvor die Emotionen hochkochen. Am Wochenende demonstrierten tausende Unterstützer Mannings vor dem weiträumig abgesperrten Militärgelände von Fort Meade vor den Toren Washingtons. Darunter auch Daniel Ellsberg, der mit der Weitergabe der "Pentagon-Papiere" während des Vietnamkriegs Geschichte machte. "Ich bin Bradley Manning", verteidigt Ellsberg den jungen Mann, der für ihn ein Held ist, der sein Gewissen über die Furcht vor seiner sicheren Strafe gestellt habe. Während er damals auf Kaution auf freiem Fuß blieb und in Interviews sein Handeln erklären konnte, werde Manning einseitig verteufelt. Über drei Jahre festgehalten in Isolationshaft und nun nicht vor ein ziviles Gericht gestellt, sondern vor ein Militärtribunal: "Er hat es viel schwerer als ich."

Mannings Verteidiger und Bürgerrechtsverbände beklagen die mangelnde Transparenz des Verfahrens, das in Teilen ohne Öffentlichkeit stattfinden wird. Unter anderem plant die Anklage ein Mitglied jener US-Spezialeinheit aussagen zu lassen, die Osama bin Laden tötete. Der Elite-Soldat soll bezeugen, dass der Terroristenführer durch das Datenleck an Geheimdokumente gelangt ist und Manning damit unmittelbar dem Feind geholfen hat. Experten halten diese Beweisführung für nicht wasserdicht, da Manning die Dokumente nicht an Bin Laden, sondern an Wikileaks weitergegeben habe.

Erstmals fiel der Verdacht auf den Gefreiten, als ein Video aus dem Irak auftauchte, das mögliche Kriegsverbrechen dokumentierte. Die geheimen Aufnahmen der US-Streitkräfte zeigen den Einsatz eines Kampfhubschraubers am 12. Juli 2007 in Bagdad, bei dem die Soldaten offenkundig ohne Not Zivilisten ins Visier nahmen. Unter den Toten fanden sich zwei Kameramänner der Nachrichtenagentur Reuters sowie drei Kinder. Das von Wikileaks veröffentlichte Video mit dem Titel "Collateral Damage" löste weltweit eine Debatte über die zivilen Opfer des Irak-Kriegs aus. Wikileaks-Gründer Julian Assange sieht in Manning auch deshalb einen "politischen Gefangenen". Ron Paul, Ex-Präsidentschaftskandidat der Republikaner, findet gar, der junge Soldat verdiene den Friedensnobelpreis: "Während Obama in Übersee verfassungswidrige Kriege begann oder ausweitete, haben die Aktionen Bradley Mannings nicht zu einem Toten geführt, sondern Licht auf die Wahrheit hinter den Kriegen geworfen."

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HintergrundWikileaks wurde 2006 als Enthüllungsplattform gegründet. Ihr "Gesicht" wurde der Australier Julian Assange. Wikileaks veröffentlichte Dokumente zu Korruption in Kenia, Scientology und Schweizer Privatbanken. Weltweit bekannt wurde die Plattform mit geheimen Dokumenten der US-Streitkräfte zum Irakkrieg. Im April 2010 veröffentlichte Wikileaks ein Militärvideo, das zeigt, wie bei einem US-Hubschrauberangriff zehn Menschen getötet werden. Das Video stammte wohl von Bradley Manning. Auch weitere Veröffentlichungen gingen auf ihn zurück: Dokumente über den Afghanistankrieg sowie Akten zum Irak, in denen auch Gräueltaten dokumentiert sind. Vermutlich war Manning auch der Lieferant von 250 000 vertraulichen Dokumenten aus US-Botschaften in aller Welt. Washington gelang es, den Spendenfluss zu Wikileaks über Finanzinstitute weitgehend auszutrocknen. Außerdem geriet die Plattform aufgrund von Ermittlungen gegen Assange wegen sexueller Vergehen in eine Krise. dpa

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