Heiko Maas und das Durcheinander

Brüssel · Justizminister Maas will kein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorlegen, bis der Europäische Gerichtshof entschieden hat. Er riskiert damit ein hohes Bußgeld. Denn trotz des erwarteten Urteils unterliegt Deutschland der Verpflichtung, die geltende EU-Richtlinie umzusetzen.

Heiko Maas war auf der bundespolitischen Bühne bislang eher wenig präsent. Bei seiner Amtsübernahme im Bundesjustizministerium Mitte Dezember sagte der 47 Jahre alte Saarländer selbstironisch, vermutlich hätten einige im Haus in den vergangenen Tagen seinen Namen gegoogelt. Die Trefferzahl für Maas bei der Suchmaschine ist nun deutlich nach oben geschnellt: Der SPD-Mann tritt in Sachen Vorratsdatenspeicherung auf die Bremse und macht dadurch von sich reden.

Heute ist Maas genau 20 Tage im Amt. In dieser Zeit hat sich Deutschlands Strafe wegen Nichtumsetzung einer EU-Richtlinie um gut sechs Millionen Euro erhöht. Verhängt von der Europäischen Kommission. Zwar vereinbarten Christ- und Sozialdemokraten im Koalitionsvertrag noch, alle Telekommunikationsdaten für mindestens drei Monate speichern zu lassen und einen Zugriff bei "schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren von Leib und Leben" zu erlauben. Doch am Wochenende wollte Maas davon nichts mehr wissen. Zumindest vorerst. Denn bevor der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) nicht sein wegweisendes Urteil Ende April gesprochen hat, wird die Bundesregierung nicht reagieren. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) schäumte. "Der Koalitionsvertrag gilt für alle", ermahnte er gestern seinen Kabinettskollegen.

Sollte das Bußgeld übrigens tatsächlich irgendwann fällig werden, muss Maas die Summe aus dem Etat seines Hauses begleichen. Damit hat der SPD-Politiker das Durcheinander um das seit Jahren umstrittene Projekt noch vergrößert. Denn auch auf europäischer Ebene herrscht das schiere Chaos.

Einerseits muss die Kommission als "Hüterin der Verträge" gegen Deutschland vorgehen, weil es nach der Zurückweisung der ersten Gesetzesfassung durch das Bundesverfassungsgericht 2010 keine EU-konforme Neuvorlage gegeben hat. Andererseits bereitet die Kommission selbst schon seit April 2013 einen Umbau der Vorschriften vor: Statt wie bisher sechs bis höchstens 24 Monate könnten die erfassten Daten dann auch nur drei Monate vorgehalten werden, hatte Innen-Kommissarin Cecilia Malmström angeregt. Mobilfunk-Informationen sollen sogar überhaupt nicht mehr erfasst werden, weil sie sich zu Bewegungsprofilen zusammensetzen ließen. Das klingt zwar vernünftig, ist bisher aber nicht mehr als bedrucktes Papier.

Stattdessen lieferte EuGH-Generalanwalt Pedro Cruz Villalón neue Querschläger, als er Mitte Dezember in seinem Gutachten feststellte, der komplette EU-Gesetzesentwurf (an den sich Deutschland nicht hält und den die Kommission reformieren will) nicht den europäischen Grundrechten auf Datenschutz und Achtung des Privatlebens entspreche. Allerdings schlug der Portugiese den Richtern nicht vor, die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung einfach zu kippen, sondern lediglich zur zügigen Reparatur zurück nach Brüssel zu schicken.

Dort müsste Kommissarin Malmström allerdings noch weitaus mehr nachbessern, als sie bisher angedacht hat. Dem EuGH scheint nämlich ein Punkt besonders unter den Nägeln zu brennen: Schließlich werden die Kommunikationsdaten bisher von den Unternehmen selbst erfasst und den Ermittlern nur auf Anforderung zur Verfügung gestellt. EuGH-Generalanwalt Villalón: "Es besteht ein erhöhtes Risiko, dass die auf Vorrat gespeicherten Daten zu rechtswidrigen, potenziell die Privatsphäre verletzenden oder - allgemeiner - zu betrügerischen oder gar heimtückischen Zwecken verwendet werden."

Sollte Luxemburg in diesem Punkt Änderungen verlangen, müssten alle Informationen den Sicherheitsbehörden überlassen werden - mit erheblichem politischem und finanziellem Aufwand. Denn allein die Errichtung der notwendigen Speicherstruktur verschlingt zig Millionen.

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