Heck-Meck mit Tiefgang

Saarbrücken. Auf eines kann man sich bei Willi Himbert immer verlassen: Leere Hosentaschen hat er nie. Sie dienen ihm als Depot einer Minimalausstattung für kleine Zaubertrick- oder Akrobatik-Einlagen

Saarbrücken. Auf eines kann man sich bei Willi Himbert immer verlassen: Leere Hosentaschen hat er nie. Sie dienen ihm als Depot einer Minimalausstattung für kleine Zaubertrick- oder Akrobatik-Einlagen. Womit der 73-Jährige aus Saarlouis-Neuforweiler gelegentlich auch lange Gespräche auflockert: So etwa indem er unvermittelt einen kleinen Eisenring und eine Kette aus der rechten Hosentasche zieht, durch seine Zauberhände gleiten lässt, bis sie scheinbar unauflöslich ineinander verschlungen sind. Dann wieder zückt er drei kleine Gummibälle aus der linken Hosentasche, die er jonglierend durch die Luft wirbelt.

Ein Artist ist er, ein Zauberer, ein Clown, ein Gedicht- und Anekdotenschreiber. Aber auch ein Pädagoge. Denn hinter allem, was den ehemaligen Sportlehrer umtreibt, steht auch die Vermittlung ethischer Einsichten, etwa die von einem "vernünftigen Umgang" mit fremden Menschen, der gewaltfreien Erziehung und der Einmaligkeit des Kindes.

"Erziehen", schreibt Himbert hintergründig in einer seiner kleinen Text-Sammlungen, "kann man nur über Beziehungen. Beziehungen entstehen aber nur über Dialoge und Vertrauen. Vertrauen entsteht nur, wenn Ziele gesetzt werden und die zu Erziehenden Schritt für Schritt zu diesem Ziel begleitet werden." Zum Ziel begleiten heißt für Willi Himbert aber durchaus auch, Grenzen zu setzen.

Seit etwa 35 Jahren ist Himbert im Land bekannt vor allem mit seinem Kleinkunstzirkus "Willi macht Heck-Meck": Shows, die er zumeist mit einer kleinen Schar Jugendlicher inszeniert. Selbstverfasstes trägt er dabei gerne auf dem Kopf stehend vor. Er spricht von Dingen, die so wichtig sind, "dass ich mich buchstäblich auf den Kopf stellen muss, um sie anschaulich und eindrucksvoll zu erklären". So auch diesen kleinen Monolog: "Hör zu, mein Kind. Du bist einmalig auf dieser Welt. Nicht in tausend Jahren vor unserer Zeit und nicht danach wird es wieder ein Kind geben, das genauso ist wie du. Ja, mein Kind, du bist einmalig und ein Wunder. Und wenn du einmal groß bist, könntest du dann einem solchen Wunder ein Leid zufügen?"

Ein Zartbesaiteter, ein Tiefsinniger ist Himbert, aber auch einer, der nonchalant und keck in einem seiner kleinen Anekdoten-Hefte bekennt: "Ich bin geboren, um frech zu sein." Tatsächlich wurde er als Sohn eines Bergmanns geboren, als eines von acht Kindern. Willi, der heute noch vier Pferde besitzt und täglich Reitunterricht gibt, machte 1953 seine Gesellenprüfung als Hufschmied, bevor er in seines Vaters Fußstapfen trat und ebenfalls Bergmann wurde. "Ich tat das vor allem, um meinem Vater eine frühzeitige Pension zu ermöglichen. Und dies konnte er damals nur unter der Bedingung, dass er einen Ersatz für sich fand." Später arbeitete Himbert bei der Bundesbahn, wo er eine Ausbildung zum Weichenwärter und Bahnpolizist machte. Diese schloss er mit der Stellwerksmeisterprüfung ab. Was zur damaligen Zeit, wie er erklärt, mit dem Abitur gleichgestellt war.

Himbert, der sich als Leistungssportler im Kunstturnen und Trampolinspringen bei Turnspielmeisterschaften große Erfolge erkämpfte und auch zwölf Jahre lang Landestrainer in diesen Disziplinen war, entschloss sich, an der Deutschen Turnschule in Frankfurt Sport zu studieren. Dieses Fach unterrichtete er auch an verschiedenen saarländischen Schulen, bis ihn 1973 ein schwerer gesundheitlicher Einbruch zwang, den Leistungssport aufzustecken. "Als ich vom Supersportler quasi zum Rentner wurde", erinnert sich Himbert, "habe ich mir geschworen: Wenn ich die Behinderung je überwinden kann, werde ich ein Projekt für Kinder mit Handicaps in Angriff nehmen."

Himbert wurde gesund - und verwirklichte seinen hehren Vorsatz mit der Einrichtung eines "Alternativen Schulsports" am Völklinger Albert-Einstein-Gymnasium, an dem er nach seiner Krankheit wieder als Sportlehrer tätig wurde. Kinder, die wegen körperlicher Einschränkungen den herkömmlichen Schulsport nicht besuchen konnten, unterrichtete er mit Passion und Geduld unter anderem im Jonglieren von Bällen, Tellern und Keulen, im Skateboard- und Einradfahren.

Mit seinem Zirkus-Projekt "Willi macht Heckmeck" kam der umtriebige Hobby-Artist in den ersten 20 Jahren auf vier bis fünf Shows pro Woche - immer in Begleitung von je fünf bis sechs Kindern seiner insgesamt 20-köpfigen Stamm-Mannschaft. Anlässe für die Auftritte sind bis heute Stadt- und Straßenfeste, Geburtstage, Hochzeiten, Jubiläen. Und immer wurden dabei Spenden gesammelt. Hunderttausende Euro kamen über die Jahre zusammen. Jeder einzelne Euro kommt Kinder- und Jugend-Projekten zugute, die Himbert unter anderem in Jerusalem, Haifa und Kfar Tikwa (Israel) und Bethlehem (Palästinensische Autonomiegebiete) aufgebaut hat. Dieses Engagement sieht er als seinen persönlichen Beitrag zur Völkerverständigung. Seit einigen Jahren profitiert auch ein Waisenhaus im lothringischen Abrechviller von "Heckmecks" Auftritten.

Inzwischen führen zehn Gruppen im Saarland, die von ehemaligen Schülern Himberts geleitet werden, das Werk ihres idealistischen Lehrers fort. Und auch er selbst denkt nicht ans Aufhören: Unter ihm können Kinder und Jugendliche - etwa beim Leichtathletik-Club Rehlingen und beim TV Völklingen - noch immer die Kunst der Artistik erlernen.

Zudem ist er seit 17 Jahren im Knast aktiv: In der Saarbrücker Lerchesflur etwa gibt er wöchentlich Kurse für Vollzugsbeamte und ausgewählte Insassen - "nach den Prinzipien der gewaltfreien Erziehung", wie der Pädagoge, der unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet wurde, betont.

Eine der wichtigsten Triebfedern, sagt der zweifache Vater und vierfache Großvater, sei seine Frau Issy, die als Zahnärztin vor einigen Monaten in den Ruhestand trat. Eine gute Ehe, versichert er, und das auch nach über 30 Jahren - "Heckmeck" scheint dort also eher die Ausnahme. "Ja, mein Kind: Du bist einmalig und ein Wunder."

Aus einer Textsammlung von Willi Himbert

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