„Hass verwüstet die Seele“

Lüneburg · Wegen des Auschwitz-Prozesses gegen Oskar Gröning ist sie in Lüneburg: Eva Pusztai-Fahidi ist Nebenklägerin, die 89-jährige Ungarin hat den Völkermord überlebt. Anders als Eva Mozes Kor, die Gröning die Hand reichte und damit Proteste bei Dutzenden anderen Auschwitz-Überlebenden auslöste, spricht sie zwar nicht von Vergebung, aber von der Überwindung ihres Hasses.

 Die ungarische Auschwitz-Überlebende Eva Pusztai-Fahidi: „Wenn man weiter hasst, dann bleibt man ein Opfer.“ Foto: Stratenschulte/dpa

Die ungarische Auschwitz-Überlebende Eva Pusztai-Fahidi: „Wenn man weiter hasst, dann bleibt man ein Opfer.“ Foto: Stratenschulte/dpa

Foto: Stratenschulte/dpa

In Auschwitz hat eine einzige Handbewegung von Lagerarzt Josef Mengele für ihre Schwester und die Mutter den Tod bedeutet, gleich nach der Ankunft. Auch den Vater hat sie nie wieder gesehen, die Cousine nicht mit dem kleinen Kind - 49 Familienangehörige hat sie im Holocaust verloren. Eva Pusztai-Fahidi strahlt Haltung und Würde aus, die groß gewachsene 89-Jährige mit dem schlohweißen Haar geht kerzengerade. "Ich war ein Nichts - eine Frau, splitternackt und kahlgeschoren", beschreibt sie ihre Lage in Auschwitz als 18-Jährige. "Man wollte mir auch die Seele nehmen, das habe ich nicht zugelassen", sagt sie stolz. Nur deshalb habe sie überleben können.

Die Situation im Gerichtssaal mehr als 70 Jahre danach sei für sie "wunderbar", sagt sie zum Prozess gegen Oskar Gröning - auch wenn seine Ausdrucksweise - "als wäre das Dritte Reich im Gerichtssaal" - nur schwer zu ertragen sei. Der 93-Jährige muss sich wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300 000 Fällen vor dem Landgericht Lüneburg verantworten. Es geht um die sogenannte "Ungarn-Aktion" im Sommer 1944. Pusztai-Fahidi hat Auschwitz überlebt, ist Nebenklägerin, heute will sie als Zeugin aussagen. "Wir Überlebenden sitzen in einem Gericht, und er muss sich verteidigen", sagt sie zufrieden. "Ich muss mich ab und zu zwicken, ob das die Wirklichkeit ist. Ich empfinde den Prozess als ganz wichtige Genugtuung."

" Ich kann nicht im Namen der Toten verzeihen - ich allein habe 49 Angehörige verloren", betont sie. Ihre ermordete Schwester wäre heute 82. "Ich habe die ganze Welt gehasst, eine lange Zeit lang, vor allem die Täter." Doch das habe sich über die Jahre geändert. "Zu hassen ist ein Zustand, der die Seele verwüstet - man spürt es auf der Haut", sagt sie. "Wenn man weiter hasst, dann bleibt man ein Opfer", meint sie, deren gerader Blick viel Herzenswärme verrät. "Ich will einfach deshalb nicht hassen, weil ich meine Seele schonen will. Ich will ein besserer Mensch sein."

Nach der Befreiung habe sie nie wieder einen Fuß auf deutschen Boden setzen wollen, nie wieder ein deutsches Wort sprechen. Fast 60 Jahre hat sie geschwiegen, hat zweimal geheiratet, hat im Außenhandel gearbeitet. Dann kommt 1989 eine Einladung aus Deutschland. Daheim in Budapest liest Pusztai-Fahidi in der Zeitung, dass die hessische Ortschaft Stadtallendorf ehemalige Häftlinge von Münchmühle sucht, einem Außenlager Buchenwalds. Dort hat sie das Kriegsende erlebt, als Zwangsarbeiterin, auf einem Todesmarsch ist sie entkommen. Sie nimmt die Einladung an. "Das hat heilend gewirkt", sagt Pusztai-Fahidi heute. "Man hat sich geschämt und man hat um Verzeihung gebeten." "Jetzt fällt es mir nicht mehr schwer, nach Deutschland zu kommen", betont Pusztai-Fahidi, die auch die Sprache der Täter beherrschte. Nach der Befreiung habe sie als erste Bücher die Texte von Wagner-Opern gekauft. Vor einigen Jahren hat sie ein Buch über den Untergang ihrer Familie geschrieben, "Die Seele der Dinge" heißt es. "Ich wollte meiner Familie ein Denkmal setzen, haltbarer als Erz", sagt die am 22. Oktober 1925 in Debrecen geborene Frau. "Ich habe meiner Familie für achtzehneinhalb wunderbare Jahre danken wollen."

Sogar Gröning könne sie vielleicht verzeihen, wenn sie menschliche Züge an ihm entdecken würde, sagt Pusztai-Fahidi, wenn er aufstehe und die ganze Wahrheit sagt. "Er weiß ja ganz genau, was die Wahrheit war. Er hat ja dort gestanden, an der Rampe." Was möchte sie jungen Deutschen und kommenden Generationen mit auf den Weg geben, nach ihren Erfahrungen mit Antisemitismus? Gerade Schüler wollten ihren Rat sicher nicht gern hören, antwortet die 89-Jährige verschmitzt. Er sei ganz einfach: "Ihr müsst lernen. Nur blöden Menschen kann man alles einreden."

 70 Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur steht der frühere SS-Mann Oskar Gröning vor Gericht. Foto: dpa

70 Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur steht der frühere SS-Mann Oskar Gröning vor Gericht. Foto: dpa

Foto: dpa

Zum Thema:

HintergrundDie öffentliche Versöhnungsgeste einer KZ-Überlebenden im Lüneburger Auschwitz-Prozess hat zum Protest der anderen Nebenkläger geführt. Sie könnten dem SS-Mann Oskar Gröning seine Mitwirkung am Mord von 300 000 Menschen in Auschwitz nicht verzeihen, erklärten die 49 Nebenkläger, die das Konzentrationslager ebenfalls überlebt hatten. Sie kritisierten, dass Eva Mozes Kor ihr Verzeihen und Vergeben immer wieder öffentlich inszeniere, wie auch in der ARD-Talkshow von Günter Jauch am Sonntag. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort