Hass überschattet Tag der Einheit

Dresden · „Volksverräter“, „Haut ab“ und „Merkel muss weg“: In Dresden versuchen Rechte, die Feiern zur deutschen Einheit für ihre Zwecke zu nutzen. Norbert Lammert wettert in Hauruck-Rede gegen Jammer-Deutsche.

 Hunderte Demonstranten brüllten vor der Frauenkirche Parolen gegen die Bundespolitik. Foto: Woitas/dpa

Hunderte Demonstranten brüllten vor der Frauenkirche Parolen gegen die Bundespolitik. Foto: Woitas/dpa

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So eine Einheitsfeier hat Deutschland noch nicht erlebt. Die Stadt Dresden verwandelt sich an diesem düsteren Montag zeitweilig in einen Hexenkessel. Vor der Kulisse der berühmten Semperoper haben sich im strömenden Regen Tausende Menschen versammelt. Unter ihnen Hunderte rechte Demonstranten , vor allem Anhänger des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses, die hasserfüllt Parolen brüllen. Drinnen im Gebäude, wo wenig später der zentrale Festakt zum Tag der deutschen Einheit stattfinden wird, bemüht sich Kanzlerin Angela Merkel um Sachlichkeit.

"Für mich und die allermeisten Menschen ist dies nach wie vor ein Tag der Freude", sagt Merkel. Nach 26 Jahren Einheit sehe sie aber, dass "neue Arbeit, neue Probleme auf uns warten. Und ich persönlich wünsche mir, dass wir diese Probleme gemeinsam, in gegenseitigem Respekt, in der Akzeptanz sehr unterschiedlicher politischer Meinungen lösen".

Doch von gegenseitigem Respekt ist in Dresden wenig zu spüren. "Volksverräter", "Merkel muss weg", schallt es der Kanzlerin entgegen, als sie morgens in der Landeshauptstadt eintrifft. Dann erhebt sich ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert. "Merkel nach Sibirien, Putin nach Berlin", skandiert der Mob. Für die zum Gottesdienst geladenen Gäste, darunter Bundespräsident Joachim Gauck , wird der Weg in die Frauenkirche zum Spießrutenlauf. "Haut ab, haut ab!" Ein Schwarzer wird mit Affengeräuschen und "Abschieben"-Rufen empfangen. "Wir sind das Volk", behauptet die aggressive Menge.

"Wir sind traurig und beschämt über die Respektlosigkeit und den Hass der Pöbler bei den bisher friedlichen Feierlichkeiten", twittert die sächsische Staatsregierung. "Beschämt erleben wir, dass Worte die Lunte legen können für Hass und Gewalt", sagt Regierungschef und Bundesratspräsident Stanislaw Tillich später beim Festakt.

Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert wendet sich in seiner Rede direkt an die Demonstranten : "Diejenigen, die heute besonders laut pfeifen und schreien und ihre erstaunliche Empörung kostenlos zu Markte tragen, die haben offenkundig das geringste Erinnerungsvermögen daran, in welcher Verfassung sich diese Stadt und dieses Land befunden haben, bevor die deutsche Einheit möglich wurde", sagt er unter dem Applaus der Gäste.

Dann fordert er mehr Selbstbewusstsein, Optimismus, Zuversicht - in einem Land, das in einer internationalen Umfrage als "bestes Land" bewertet worden sei. Lammerts Ansprache, die an die berühmte "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen"-Rede des Bundespräsidenten Roman Herzog von 1997 erinnert, könnte durchaus als Bewerbungsrede für das höchste Amt im Staate verstanden werden könnte. Doch nach solchen Überlegungen steht an diesem Tag wenigen der Sinn.

Meinung:

Eine neue Mauer des Denkens

Von SZ-Korrespondent Werner Kolhoff

Demonstrationen gab es schon öfter am Tag der Deutschen Einheit . Sie zeigten, dass zwar die politische Einheit verwirklicht war, aber nicht die soziale. Das ist inzwischen besser geworden. Was in Dresden passiert ist, ist etwas anderes. Deutlich wird eine tiefe kulturelle Kluft in der Gesellschaft. Es ist die Verweigerung eines Teils der Bevölkerung gegenüber jeglicher weiteren Öffnung zu anderen Kulturen und Religionen, gegenüber Fremden überhaupt. Teils stehen Ängste und Unsicherheiten dahinter, auch schlichte Zurückgebliebenheit und Uninformiertheit, teils aber ist es eine geschürte, wohl organisierte Konfrontation. 26 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Deutschland wieder geteilt. Es gibt eine neue Mauer des Denkens. Die jenseits von ihr sind, werden so bald nicht mehr herüberkommen; sie werden im Gegenteil immer skrupelloser. Und die diesseits sind, dürfen ihnen nicht nachgeben, um sie nicht noch stärker zu machen. So weit ist es gekommen: Am Tag der Deutschen Einheit muss die Polizei Deutsche und Deutsche auseinanderhalten, die politischen Repräsentanten vor Teilen des Volkes schützen, Gäste vor Bürgern der Gastgeberstadt. Kein schöner 3. Oktober.

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