Grüne für "Modernisierungsprojekt Jamaika"

Saarlouis. Grünen-Landeschef Hubert Ulrich war sich seiner Sache am Sonntag offenbar schon sehr früh ganz sicher

Saarlouis. Grünen-Landeschef Hubert Ulrich war sich seiner Sache am Sonntag offenbar schon sehr früh ganz sicher. Nachdem er die 150 Delegierten - rund 40 Prozent von ihnen aus seinem Kreisverband Saarlouis - auf dem Grünen-Parteitag im Vereinshaus von Fraulautern auf ein Bündnis mit CDU und FDP eingeschworen hatte, zeigte er sich gelassen und plauderte mit Delegierten und Medienvertretern inner- und außerhalb des Versammlungssaals. Während drinnen eine stellenweise durchaus hitzige Debatte ihren Lauf nahm.

Zuvor hatte der Landesvorstand getagt und mit "sehr großer Mehrheit", wie es später hieß, Ulrichs Plädoyer für eine Jamaika-Koalition abgesegnet. Danach traf sich Ulrich mit den Delegierten seines Kreisverbands zu einer Versammlung, aus der Beifall durch die verschlossenen Türen drang. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Sache klar.

In seiner Rede vor dem Parteitag bezeichnete Ulrich Jamaika als ein "Modernisierungsprojekt" mit "historischem Charakter", an dessen Gelingen auch Ministerpräsident Peter Müller (CDU) und FDP-Landeschef Christoph Hartmann ein Interesse haben müssten. Mit CDU und FDP würden jetzt die Studiengebühren abgeschafft und die Schulformen aus der Verfassung gestrichen, um ein "längeres gemeinsames Lernen" zu ermöglichen. Auch sei fest vereinbart, den Finanzvorbehalt für Volksbegehren aus der Verfassung herauszunehmen.

Dann kam Ulrich auf das Thema zu sprechen, das ihm am wichtigsten zu sein schien: Oskar Lafontaine. Dessen "Verlockungen" sei "eine gewisse Dame" erlegen, schimpfte er, ohne die Ex-Grüne Barbara Spaniol namentlich zu erwähnen. Zudem habe Lafontaine im Wahlkampf versucht, die Grünen "ganz tief in den Kakao zu ziehen". In Anlehnung an Kurt Tucholsky rief Ulrich unter lautstarkem Beifall eines Großteils der Delegierten, dass man diesen Kakao "nicht auch noch austrinken" sollte.

Als er dann am Donnerstagabend über die Presse habe erfahren müssen, dass Lafontaine als Fraktionschef ins Saarland zurückkehren wolle, sei er zunächst "fassungslos" gewesen. Denn Grundlage der Sondierungsgespräche mit SPD und Linken sei "eigentlich" gewesen, dass dieser "in Berlin bleibt, um die anderen Ministerpräsidenten auf Linie zu bringen". Lafontaine, der jetzt "mit seinen Krokodilstränen den ganzen Landtag unter Wasser setzen" werde, weil es zu keinem rot-rot-grünen Bündnis komme, trage dafür "die Hauptschuld".

In bemerkenswertem Kontrast zum Beifall für Ulrich stand der Inhalt der meisten Redebeiträge in der anschließenden Debatte. Denn es meldeten sich überwiegend Jamaika-Gegner zu Wort, vor allem aus dem Kreisverband Saarbrücken. Allerdings war auch diesen zu jenem Zeitpunkt längst klar, wohin die Reise gehen würde. Der Saarbrücker Grünen-Kreischef Thomas Brück sprach von einer "Verhohnepipelung unserer Wähler" und kündigte eine "innerparteiliche Opposition" gegen das Bündnis mit den "marktliberalen Atomstromparteien" an. Ulrich solle sich schon mal "warm anziehen", so Brück. Konrad Hilsenbeck warnte, CDU und FDP würden in Zukunft alles tun, um grüne Vorhaben zu "bremsen" und "in Details nachzuverhandeln". Bruno Hartig von der grünen Jugend berichtete, dass sich diese mit "überragender Mehrheit" für Rot-Rot-Grün ausgesprochen habe. Sigrun Krack aus Dudweiler kritisierte, dass sich die Grünen zum "Steigbügelhalter eines abgewählten Ministerpräsidenten" machten. Christian Bersin aus Saarbrücken befürchtete, dass es mit Jamaika nicht gelingen werde, mit dem "schwarzen Filz" aufzuräumen. Die Grünen liefen zudem Gefahr, bei der nächsten Wahl an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Der Saarbrücker Bürgermeister Kajo Breuer argumentierte, die CDU könne die vereinbarte neue Politik "nicht in ihre eigene Anhängerschaft hineindekretieren". Den Druck, den sie von dieser erhalte, werde sie an die Grünen weitergeben. Zugleich drohten die Grünen als jene Kraft wahrgenommen zu werden, die einen wirklichen Neubeginn verhindere. Hinter vorgehaltener Hand warnten einige Parteilinke sogar vor Austritten im Falle einer Jamaika-Koalition.

Andererseits stellten sich mit Klaus Kessler, Klaus Borger und Claudia Beck gleich drei Mitglieder der grünen Verhandlungsdelegation hinter Ulrich, die bisher nicht gerade als CDU-Freunde galten. Vielleicht gab auch dies am Ende den Ausschlag dafür, dass die Mehrheit für ein Jamaika-Bündnis so klar ausfiel. Wohl klarer, als es selbst Ulrich erwartet hatte: 117 Delegierte dafür und 32 dagegen, bei einer Enthaltung.

Hintergrund

Es war eine der spannendsten Entscheidungen in der jüngeren Landesgeschichte, doch die Fernsehzuschauer wurden enttäuscht. Weder der Saarländische Rundfunk noch der Ereignissender Phönix berichteten gestern Nachmittag live vom Grünen-Parteitag in Saarlouis-Fraulautern. Phönix sendete zu diesem Zeitpunkt eine Dokumentation über Mutter Teresa, der SR zeigte Dokumentationen über das Rheintal, den Bodensee und Korsika. Lediglich der Nachrichtensender n-tv berichtete in einem Laufband in Form von Schlagzeilen über das Ereignis. red

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