Großmaul, Kämpfer, Mythos

Frankfurt. "Wer ist der Größte?", fragte Cassius Clay nach seinem sensationellen Sieg über Sonny Liston in Miami Beach die Presse - und gab gleich selbst die Antwort: "I am the Greatest." Es war der 25. Februar 1964, der neue Box-Weltmeister im Schwergewicht war gerade einmal 22 Jahre alt. Der weißen amerikanischen Gesellschaft war dieses schwarze Großmaul zuwider

Frankfurt. "Wer ist der Größte?", fragte Cassius Clay nach seinem sensationellen Sieg über Sonny Liston in Miami Beach die Presse - und gab gleich selbst die Antwort: "I am the Greatest." Es war der 25. Februar 1964, der neue Box-Weltmeister im Schwergewicht war gerade einmal 22 Jahre alt. Der weißen amerikanischen Gesellschaft war dieses schwarze Großmaul zuwider. Doch wenn in den 70er Jahren zur besten Fernsehzeit in Amerika der Gong ertönte, klingelte auf anderen Kontinenten der Wecker. Millionen weltweit wollten zusehen, wenn Muhammad Ali, wie er sich seit 1964 nannte, in den Ring stieg. Nach dreieinhalbjähriger Verbannung wegen Wehrdienstverweigerung im Vietnamkrieg war er zurück. Seine drei legendären "Jahrhundertkämpfe" gegen Joe Frazier und George Foreman gingen in die Geschichte ein. Seit 1996 ist Muhammad Ali der berühmteste Kranke der Welt, seit er mit zitternden Händen in Atlanta die Olympische Flamme entzündete, 85 000 Besucher im Olympiastadion und ein Milliarden-Publikum vor den Bildschirmen zu Tränen rührte. Es war ein emotionales Comeback aus dem Schatten seines Schicksals.Das sind, kurz zusammengefasst, die drei bedeutenden Lebensabschnitte Muhammad Alis, der heute 70 Jahre alt wird. Dieser außergewöhnliche Mensch hat Liston, Frazier, Foreman und "eine Gesellschaft besiegt, die einen selbstbewussten afroamerikanischen Sportler nicht ertragen konnte" (Jan Philipp Reemtsma). Parkinson aber kann er nicht besiegen. Seit einem Vierteljahrhundert leidet Ali an der Nervenkrankheit. Dennoch erschien er mit seiner Frau Lonnie am Samstag zu der vorgezogenen Geburtstagsfeier mit 350 geladenen Gästen im "Muhammad Ali Center" seiner Heimatstadt Louisville. "Er ist froh, dass er seinen 70.Geburtstag erlebt", sagte Lonnie Ali.

Der dreimalige Weltmeister im Schwergewicht ist sein Leben lang Fernseh-Superstar: Tänzelnder Boxästhet, narzisstischer Schreihals, schwarzer Rebell, zum Islam konvertierte, pazifistische Symbolfigur, überzeugter Wehrdienstverweigerer, schwerkranker Senior. Sein Mythos ist rund um den Globus verbreitet.

Unvergessen sind die Dramen: Der "Fight of the Century", den Ali 1971 gegen Joe Frazier im New Yorker Madison Square Garden nach Punkten verlor, weil ihm in der langen Zwangspause der tänzerische Stil abhandengekommen war. Beim "Rumble in the Jungle" 1974 in Kinshasa holte Ali sich den Titel zurück. Mit einer neuen Seiltaktik ermüdete er George Foreman und schlug ihn der achten Runde K.o. Beim "Thrilla in Manila" 1975, der brutalsten und epischsten Schlacht der Boxgeschichte, durfte Frazier auf Geheiß seines Trainers Eddie Futch zur letzten Runde nicht mehr antreten. "Der nächste Schlag hätte tödlich sein können", entschied der weise Mann.

Beim Comeback zwei Jahre nach seiner Rücktrittserklärung wurde Ali von seinem einstigen Sparringspartner Larry Holmes derart verprügelt, dass sein Trainer Angelo Dundee unter Tränen das Debakel beendete. Kurz nach dieser Demütigung bemerkten Freunde, dass Alis Hände leicht zitterten und er langsamer sprach, manchmal auch schon nuschelte. Dennoch folgte ein Jahr später das "Drama in Bahama", die entwürdigende Niederlage gegen einen gewissen Trevor Berbick. Der endgültige letzte Kampf mit knapp 40 Jahren am 11. Dezember 1981. Die ärztlichen Untersuchungen ergaben: Ali leidet am Parkinson-Syndrom.

Ali war und ist mehr als ein Boxchampion. "Ich boxe nur, um bestimmte Dinge zu überwinden, die ich sonst nicht überwinden könnte", sagte er einmal. Sein Engagement für die Bürgerrechtsbewegung und die politische Emanzipation der Afroamerikaner in den USA, sein Protest gegen den Vietnamkrieg sind so bedeutsam geblieben wie sein Boxstil für die globale Akzeptanz des ästhetischen Faustkampfes. Sein umwerfender Charme und sein Charisma verzauberten die Welt ebenso wie seine Boxkunst.

Muhammad Ali führt seinen letzten Kampf voller Demut gegen eine Krankheit, die ihm genommen hat, was ihn einst weltberühmt gemacht hat: seine Athletik und seine Sprache. Der strenggläubige Muslim sagte einmal über sein Schicksal: "Ich habe nie gefragt: 'Warum ich?' Ich bin mit so viel Gutem gesegnet. Gott prüft mich."

Zur Person

Name: Muhammad Ali (geb. als Cassius Marcellus Clay); Geburtsdatum: 17. Januar 1942; Familienstand: verheiratet in vierter Ehe mit Lonnie (seit

1985), insgesamt neun Kinder; Profikämpfe: 61 Kämpfe, 56 Siege (37 K.o.), 5 Niederlagen; Größte Erfolge: Olympiasieger im Halbschwergewicht 1960, dreimal

Weltmeister im Schwergewicht; Auszeichnungen: Sportler des Jahrhunderts (IOC-Wahl 1999), Freiheitsmedaille der USA (2005). sid

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