Großes Zittern in Berlin vor Wahl in NiedersachsenWie die Wahl die Machtverhältnisse im Bundesrat verändern könnte

Berlin. Bei der Wahl zum niedersächsischen Landtag am 20. Januar geht es auch um die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Geht Niedersachsen für Schwarz-Gelb verloren, hat die Regierung nur noch 15 der 69 Stimmen in der Länderkammer. Das Oppositionslager käme nach einem Machtwechsel zu Rot-Grün auf eine "Gestaltungsmehrheit" von 36 Stimmen, mit der es mehr Druck ausüben könnte

Berlin. Bei der Wahl zum niedersächsischen Landtag am 20. Januar geht es auch um die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Geht Niedersachsen für Schwarz-Gelb verloren, hat die Regierung nur noch 15 der 69 Stimmen in der Länderkammer. Das Oppositionslager käme nach einem Machtwechsel zu Rot-Grün auf eine "Gestaltungsmehrheit" von 36 Stimmen, mit der es mehr Druck ausüben könnte. Derzeit setzt sich das Regierungslager aus den 21 Stimmen der vier christlich-liberalen Koalitionen in Niedersachsen (6), Bayern (6), Hessen (5) und Sachsen (4) zusammen. Das Oppositionslager hat 30 Stimmen von sieben Bundesländern. Dabei kann nur Hamburgs SPD-Alleinregierung (3) ihre Stimmen ohne Rücksicht auf einen Koalitionspartner abgeben. Der sogenannte neutrale Block kann 18 Stimmen von fünf Ländern aufbieten. Dort amtieren Regierungen von Union und Sozialdemokraten. Sachsen-Anhalt (CDU/SPD), Thüringen (CDU/SPD) und Berlin (SPD/CDU) verfügen über je vier Stimmen, Mecklenburg-Vorpommern (SPD/CDU) und das Saarland (CDU/SPD) über je drei. dpaKnapp eine Woche vor dem Urnengang in Niedersachsen haben die Parteien gestern den Schlussspurt im Wahlkampf eingeläutet. Vor allem für die SPD und die FDP geht es politisch ans Eingemachte. Bei einer Niederlage stünde das Spitzenpersonal beider Parteien ernsthaft in Frage.

Für die SPD-Genossen hat Parteichef Sigmar Gabriel ein solches Szenario bereits angedeutet: "Egal wie die Niedersachsen-Wahl ausgeht: Es wird keine Diskussion um den Kanzlerkandidaten geben", erklärte er am Wochenende. Das klingt einerseits nach Rückendeckung für den in Umfragen abgestürzten Peer Steinbrück. Andererseits schließt Gabriel damit ein Wahldesaster an der Leine nicht mehr aus.

Um dies abzuwenden, ging die SPD gestern einmal mehr in die inhaltliche Offensive. In Braunschweig präsentierte Steinbrück gemeinsam mit Gabriel ein Konzept für mehr Steuergerechtigkeit. Schon vor wenigen Tagen hatte die SPD zwei Papiere für bezahlbare Mieten und eine Erhöhung des Kindergeldes für Niedrigverdiener unters Wahlvolk gebracht. Nun verspricht die Partei im Falle einer Regierungsübernahme, die Steuerfahndung zu verschärfen, die Verjährungsfristen für Steuerbetrug zu verlängern und Banken notfalls die Lizenz zu entziehen, wenn sie Steuerbetrug dulden. Es ist ein Thema, das Steinbrück geradezu auf den Leib geschneidert ist. Schließlich wollte er schon in seiner Zeit als Bundesfinanzminister die "Kavallerie" in Marsch setzen, um Schweizer Geldinstituten das Fürchten zu lehren.

Daran erinnerte gestern sogleich FDP-Chef Philipp Rösler und warf Steinbrück Unglaubwürdigkeit vor. Wenn die SPD es ernst gemeint hätte mit dem Kampf gegen Steuersünder, dann hätte sie das Steuerabkommen mit der Schweiz nicht scheitern lassen dürfen, kritisierte der liberale Vizekanzler. "Das ist ein durchsichtiges Manöver." Rösler gab sich zu Beginn der für ihn womöglich entscheidenden Woche optimistisch. Im Wahlkampf herrsche gute Stimmung, berichtete er den Präsidiumsmitgliedern. Auch sehe er eine Trendwende in der Berichterstattung. Alle prophezeiten jetzt ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün, die FDP sei noch nicht abgeschrieben.

McAllister wirbt für FDP

Der interne Führungsstreit wurde gestern in der FDP nicht fortgesetzt, die Sitzung war "ausgesprochen sachlich", wie einer berichtete. Offenbar ist allen klar, was am Sonntag für die Liberalen auf dem Spiel steht. Neben Rösler selbst wollen sich auch Fraktionschef Rainer Brüderle, Außenminister Guido Westerwelle und sogar der aufmüpfige schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Wolfgang Kubicki in den nächsten Tagen noch einmal voll in den Wahlkampf stürzen. Brüderles Prognose: "Wir werden besser sein, als viele erwarten."

Rösler verteidigte auch die Zweitstimmen-Kampagne seiner Partei. "Jede kämpft für sich", meinte er. Das stimmt nicht ganz. Am Wochenende besuchte Niedersachsens CDU-Ministerpräsident David McAllister demonstrativ einen kleinen Parteitag der Landes-FDP. Eine ungewöhnliche Geste und ein klares Signal: Auch der CDU-Mann wünscht sich nichts sehnlicher als einen Verbleib der Liberalen im Landtag - und damit den Fortbestand der von ihm geführten Regierung. Aus der Bundes-CDU gab es gestern keine Kritik an der Wahlkampftaktik der Liberalen. Man weiß um die Bedeutung des Ergebnisses für den dann langsam beginnenden Bundestagswahlkampf.

Linke wittert Morgenluft

Das gilt freilich für alle, wie Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt deutlich machte: "Niedersachsen entscheidet über die Frage, wie es losgeht in diesem Wahljahr", analysierte sie. Und die Linken? Sie klammern sich an eine neue Umfrage, die sie in Hannover zum ersten Mal seit langem wieder über der Fünf-Prozent-Hürde sieht. Ausgerechnet Sahra Wagenknecht, die Wortführerin der radikalen Linken in der Partei, hatte sich kürzlich zur Delegationsleiterin für eventuelle Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen ausgerufen. Zwar will keine der beiden Parteien ein solches Bündnis, aber egal. Bei den Linken hat man zufrieden registriert, dass Wagenknechts forsche Ankündigung offenbar etwas Auftrieb gebracht hat.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort