Großbritannien bietet der Gewalt die Stirn Er wollte lieber Frieden als Rache

London. Auf vielen Gesichtern der Parlamentarier, die zu einer Sondersitzung nach London zurückbeordert wurden, glühten der Sonnenbrand und die helle Empörung über die Krawalle, die ihre Sommerferien vermasselt hatten. "Es gibt dafür absolut keine Rechtfertigung", rief Premierminister David Cameron. "Es war pure Kriminalität

London. Auf vielen Gesichtern der Parlamentarier, die zu einer Sondersitzung nach London zurückbeordert wurden, glühten der Sonnenbrand und die helle Empörung über die Krawalle, die ihre Sommerferien vermasselt hatten. "Es gibt dafür absolut keine Rechtfertigung", rief Premierminister David Cameron. "Es war pure Kriminalität."Die Abgeordneten, die in ihren Wahlkreisen in London, Manchester und Liverpool Zeugen der Plünderungen und Brandlegungen wurden, sprachen von der Frustration ihrer Wähler, die zunächst vergeblich darauf hofften, dass die Polizei ihre Sicherheit und ihr Eigentum schützt. Der Regierungschef gab zu, dass die fatale Entwicklung in den ersten Tagen unterschätzt wurde. Beim Ausbruch der Krawalle war gerade ein Zehntel der 32 000 Polizisten der Hauptstadt im Einsatz. Als schließlich 16 000 Polizisten in Londons Straßen patrouillierten, wurden Ruhe und Sicherheit mit einem Schlag wiederhergestellt, ohne dass es zu Konfrontationen mit den Randalierern kam.

Diese hohe Polizeipräsenz wird vorsichtshalber noch einige Tage bestehen bleiben. Cameron kündigte an, dass in Zukunft die Einsätze bei ähnlichen Entwicklungen prompt und in der notwendigen Härte erfolgen. Dabei bleibt auch der Einsatz von Plastikgeschossen und Wasserwerfern eine Option. Auch militärische Unterstützung wollte der Premierminister nicht ausschließen. Selbst einige seiner Parteifreunde bedrängten Cameron mit der Opposition, die geplanten Etatkürzungen bei der Polizei rückgängig zu machen, was dieser jedoch ablehnte.

Den Opfern der Krawalle versprach Cameron großzügige Unterstützung und den Verursachern des Schadens strenge Verfolgung und Bestrafung. Die britischen Versicherer rechnen mit Forderungen in Höhe von mehr als 200 Millionen Pfund. Über 1200 Beteiligte an den Ausschreitungen seien landesweit bislang festgenommen worden. Und dank der Videoaufzeichnungen käme kaum jemand davon. In Tag- und Nachtsitzungen entschieden die Magistratsgerichte in über 200 Fällen.

Viele Angeklagte passen nicht in das soziale Muster der Krawalle. Auf den Anklagebänken saßen auch ein Hilfslehrer, ein Jurastudent im zweiten Semester, ein Postbeamter, die Mitarbeiterin einer wohltätigen Stiftung, ein Rettungsschwimmer und die 19-jährige Tochter eines Multimillionärs, die nach einem glänzenden Abitur an einer vornehmen Privatschule ihr Universität Studium jetzt für einen Beutezug in aufgebrochenen Geschäften unterbrochen hatte. Der jüngste Angeklagte war ein elfjähriger Junge.

Um die Randalierer leichter zu erkennen, kann die Polizei nun ein Vermummungsverbot bei Zusammenrottungen anordnen. Mit den Anbietern sozialer Netzwerke auf den Handys soll nun verhandelt werden, ob diese in prekären Situationen abschalten, um die Kommunikation jugendlicher Banden zu verhindern.

"Wir müssen ein Jahr vor den Olympischen Spielen zeigen, dass Großbritannien nicht zerstört, sondern aufbaut", sagte Premier Cameron. "Wir lassen es nicht zu, dass auf unseren Straßen ein Klima der Angst herrscht." Die Opposition sagte der Regierung die volle Unterstützung zu. Labour-Chef Ed Miliband allerdings zeigte sich nicht voll zufrieden mit Camerons Erklärung, dass nichts als jugendliche Bandenkultur und verbrecherische Energie hinter den Krawallen stünde, sondern forderte eine Untersuchung "der komplexen Ursachen".Birmingham. Wut, Trauer und Tränen. Tarik Jahan (Foto: dpa) kann sie nur mit Mühe unterdrücken. Der stämmige grauhaarige Einwanderer aus Südasien ringt um Fassung. Er steht auf der Straße in Winson Green, einem Arme-Leute-Viertel in Birmingham, ist umringt von zornigen Nachbarn. Manche wollen Rache für den Mord an drei jungen Männern aus der Umgebung. Von Jahan hängt maßgeblich ab, ob England zur Ruhe kommen kann nach nächtelangen Krawallen oder ob die Gewalt erneut eskaliert. Jahan spricht bedächtig, aber mit fester Stimme: "Wer auch einen Sohn verlieren will, der soll jetzt vortreten."

Das sagt dieser Vater wenige Stunden, nachdem sein Kind vor seinen Augen verblutet ist. Wie viel Kraft muss dieser Mann dafür aufbringen? Jahan hält ein Foto seines Sohnes hoch, ein freundliches Lächeln auf einem klugen Gesicht. 21 Jahre wurde Haroon Jahan. Er starb gemeinsam mit Shazad All (30) und Abdul Musavir (31). Die drei gehörten zu einer Gruppe von Männern, die in Winson Green Geschäfte, Wohnungen und eine Moschee vor Plünderern schützen wollten. Ein schwarzer Wagen, so berichten Augenzeugen, raste direkt auf die Männer zu, riss sie zu Boden. Darin, heißt es, habe man "karibische Afrikaner" gesehen.

Mehr als drei Viertel der knapp 26 000 Einwohner von Winson Green gehören verschiedenen "ethnischen Minderheiten" an. Es gibt etliche Beispiele für gute, friedliche Nachbarschaft. Aber es kam in Birmingham auch immer wieder zu blutiger Gewalt. "Schwarze, Asiaten, Weiße", sagt Jahan, "leben alle im selben Viertel. Warum müssen wir uns gegenseitig töten?" Die Menge beruhigt sich mehr und mehr. "Leute", sagt Jahan, den später so mancher "Held von Birmingham" nennt, "ich will keine weiteren Leiden sehen, keine weiteren Verletzten. (. . .) Mein Sohn ist gestorben. Niemand von euch muss deshalb auch sterben." dpa

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