Gleiche Rechte, gleiche Pflichten

Vor diesem Tag haben Gewerkschaften und Verbände sieben Jahre lang gewarnt: 1. Mai 2011. Zu Hunderttausenden würden sie über den deutschen Arbeitsmarkt hereinbrechen - polnische Klempner, tschechische Friseurinnen und slowakische Bauarbeiter. Das Lohngefüge werde ins Wanken geraten, weil diese Menschen bereit seien, für Stundenlöhne von drei bis vier Euro zu arbeiten. Am 1

Vor diesem Tag haben Gewerkschaften und Verbände sieben Jahre lang gewarnt: 1. Mai 2011. Zu Hunderttausenden würden sie über den deutschen Arbeitsmarkt hereinbrechen - polnische Klempner, tschechische Friseurinnen und slowakische Bauarbeiter. Das Lohngefüge werde ins Wanken geraten, weil diese Menschen bereit seien, für Stundenlöhne von drei bis vier Euro zu arbeiten.Am 1. Mai fallen die letzten Schranken, die 2004 nach dem Beitritt der zehn östlichen Staaten in die EU vereinbart worden waren. Deutschland und Österreich haben die vereinbarte Frist bis zum letzten Tag ausgenutzt. Aus Angst davor, überrollt zu werden. "Es wird keinen polnischen Tsunami in Deutschland geben", beruhigt der Präsident des Senats in Warschau, Bogdan Borusewicz, inzwischen die Nachbarn. Tatsächlich haben sich die schlimmsten Befürchtungen gelegt. Anders als 2004 gibt es keine Massenarbeitslosigkeit mehr, Fachkräfte werden gesucht.

Die Begleitbestimmungen der europäischen Richtlinie zur Herstellung der Dienstleistungsfreiheit haben Signale gegen Dumping-Löhne gesetzt: Wer als Gast aus einem anderen EU-Land nach Deutschland kommt, muss genauso bezahlt werden wie Inländer, gleich viel Urlaub und dieselben sozialen Standards garantiert bekommen. Mindestlöhne in einigen Branchen tun ein Übriges, um die Furcht vor den Billiglöhnern zu nehmen. Die werden inzwischen sogar ersehnt. Auf rund 100 000 wird die Zahl der Osteuropäerinnen geschätzt, die schon heute mit Genehmigungen der Bundesagentur für Arbeit als Pflegerinnen im Land arbeiten. Die Zahl derer, die auf solche Assistenz rund um die Uhr angewiesen sind, ist mit 1,5 Millionen so hoch, dass die CDU erst vor wenigen Tagen die ausländischen Helferinnen und Helfer zur Säule ihres Programms machte. Dabei sind es nicht nur die Pflegerinnen und Pfleger, die gebraucht werden. Bis zu 300 000 Saisonarbeitskräfte benötigen die landwirtschaftlichen Betriebe pro Jahr zum Spargelstechen und Erdbeeren-Pflücken. Offensiv gehen die regionalen Industrie-und Handelskammern bereits in die östlichen Nachbarstaaten, um dort Fachkräfte anzuwerben, die hierzulande fehlen und dadurch den Aufschwung bremsen.

"Arbeitnehmerfreizügigkeit heißt, dass Ausländer gleiche Rechte und Pflichten auf dem Arbeitsmarkt haben wie Inländer", erklärt Beate Raabe, Sprecherin der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV). Experten rechnen denn auch damit, dass die offenen Grenzen durchaus zum Gegenteil dessen führen könnten, was eigentlich befürchtet wurde: Bisherige Billigarbeitskräfte müssen nun nach deutschem Niveau bezahlt und angestellt werden. Berufsabschlüsse werden entsprechend der einschlägigen EU-Richtlinie geschützt. Das alles könnte unterm Strich sogar eher zu einer Verteuerung der einstigen Billigarbeit führen, nicht aber zu einer Erosion der Löhne, die Verdi-Chef Frank Bsirske (Foto: dpa) noch immer für möglich hält - vor allem in jenen Branchen, in denen es noch keinen Mindestlohn gibt. Trotzdem wird man zunächst einmal abwarten müssen, wie viele am Ende wirklich kommen. Im Warschauer Arbeitsministerium rechnet man mit 300 000 bis 400 000 in den nächsten Jahren. Doch auch dort räumt man ein, dass man daneben liegen könnte. Der Grund: Auch in den ehemaligen Billigländern sind die Löhne deutlich gestiegen. "Der Druck, aus der Heimat weg in ein anderes Land zu gehen, ist weg", heißt es auch bei der EU-Kommission. Die Angst könnte sich als völlig unbegründet herausstellen.

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Arbeitnehmer-Freizügigkeit Am 1. Mai wird der deutsche Arbeitsmarkt vollständig für Erwerbstätige aus acht Ländern geöffnet, die 2004 der EU beigetreten sind: Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Ungarn sowie Estland, Litauen und Lettland. Risiko oder