Migrationspolitik Bewegung im EU-Streit um die Flüchtlinge

Brüssel · Beim Gipfel in Brüssel setzen sich die Gegner einer Verteilquote zunehmend durch. Österreich schlägt „flexible Solidarität“ vor.

 Sebastian Kurz, Kanzler von Österreich, das derzeit den EU-Vorsitz führt.

Sebastian Kurz, Kanzler von Österreich, das derzeit den EU-Vorsitz führt.

Foto: AP/Francois Walschaerts

Im festgefahrenen Streit um eine europäische Lösung in der Migrationskrise steht die Europäische Union offenbar vor einer entscheidenden Kehrtwende. Beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel, das gestern zu Ende ging, deutete sich ein Ende der sogenannten Quote an, die für eine annähernd gleiche Verteilung der Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten sorgen sollte. Dieses Instrument galt jahrelang als wichtigster Baustein einer fairen Lastenverteilung, wurde aber stets strikt vor allem von den Regierungen im Osten blockiert. „Dieser Weg der Solidarität beutetet, dass jeder einen Beitrag leistet – dort, wo er kann, und dort, wo er sinnvoll ist“, sagte Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, der derzeit den Vorsitz der EU innehat und die Idee seit langem unterstützt.

Konkret sei bei der „flexiblen Solidarität“ daran gedacht, dass jede Regierung selbst entscheiden kann, ob sie Flüchtlinge aufnimmt oder sich mit einem anderen Beitrag – zum Beispiel einem entsprechend höheren Kontingent an den neuen Grenztruppen – beteiligt. Das Aus der Quote käme einer Abkehr von der gemeinsamen europäischen Lösung gleich, für die Kanzlein Angela Merkel (CDU) lange geworben hatte. Dementsprechend ablehnend fiel auch Merkels Fazit aus: „Ich finde, wir machen es uns zu einfach. Wenn einige Mitgliedstaaten dann nur Geld für Afrika geben, haben wir unsere Probleme nicht gelöst.“ Das sei so kein Weg.

Dennoch brachte der Vorstoß einiges in Bewegung. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der bisher jede Zuwanderung ausschließt, meinte anerkennend: „Dieser Vorschlag zeigt, dass sie verstanden haben, in welche Richtung die ganze EU nun gehen sollte.“ Gestern blieb zunächst offen, ob Kurz auch die frühere Idee aufgreifen will, die einen regelrechten Freikauf eines Landes von der Pflicht zur Aufnahme vorgesehen hatte. Damals war von einem Betrag von 6000 Euro pro nicht aufgenommenen Flüchtling an die EU die Rede gewesen.

Im Abschlussdokument des Gipfels ist von dem Umdenken allerdings noch keine Rede. Die Union bekräftigte ihre Entschlossenheit, den Küsten- und Grenzschutz aufzustocken und Schleuserringe zu zerschlagen. Außerdem hält sie an den umstrittenen Auffang-Einrichtungen fest, obwohl sich bisher niemand bereit erklärt hat, ähnlich wie die Türkei Flüchtlinge auf seinem Hoheitsgebiet unterzubringen. Im Juni hatten die Staaten solche Zentren beschlossen, die in der EU oder in Nordafrika aufgebaut werden sollten. „Jeder findet es eine tolle Idee, aber keiner will die Flüchtlinge bei sich haben. Das macht es schon kompliziert“, sagte der luxemburgische Premier Xavier Bettel. Er sprach sich zugleich gegen jeden Freikauf von der Solidarität aus: „Man kann nicht in Europa nur Vorteile sehen und, wenn es dann um Solidarität geht, sagen: Ich will es nicht.“

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