„Giftiger Nebel“ über Rom

Rom · Erst die Regierungskrise nach dem Patt bei den Parlamentswahlen. Jetzt tun sich Italiens Parteien schwer, einen neuen Staatschef zu finden. Größte Erfolgschancen hat nach letzten Meldungen offenbar der frühere Senatspräsident Franco Marini.

Italien ist hoch verschuldet, seit bald zwei Jahren in der Rezession und leidet unter dem Druck misstrauischer Finanzmärkte. Vor zwei Monaten wählten die Italiener ein neues Parlament. Eine stabile Regierung sollte das Land aus der schweren Krise führen, hofften sie. Doch bis heute finden die zerstrittenen Parteien nicht zu einer Koalition zusammen.

Etwas Abhilfe soll nun ein neuer Staatschef bringen. Er wird heute gewählt. Gestern Abend zeichnete sich nach langem Hin und Her ein breites Bündnis für den früheren Senatspräsidenten Franco Marini ab. Sowohl die linksgerichtete Demokratische Partei von Pier Luigi Bersani als auch das rechte Lager um Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi sagten dem 80-Jährigen ihre Unterstützung zu. Er gehört dem christdemokratischen Flügel von Bersanis PD an.

Die Bündnisse schacherten auch gestern noch hinter verschlossenen Türen oder durch Signale in den Medien um das Amt. Das produziere nur "giftigen Nebel", monierte der rechtsliberale "Corriere della Sera". Dabei ist wichtiger denn je, wer in den Quirinale-Palast einzieht. Er muss versuchen, die Krise bald zu lösen, in die Napolitano nicht mehr eingreifen kann.

Heute kommen mehr als 1000 Wahlmänner und -frauen in Rom zusammen. Wie vor dem jüngsten Konklave im Vatikan handeln die Medien seit Wochen Namen und neue Allianzen, mit denen das europäische Sorgenkind Italien der Welt zeigen könnte, dass man doch rasch zu entscheiden vermag. Auch der zweifache linke Regierungschef Romano Prodi (73) wurde immer wieder genannt, daneben der ebenfalls linke Ex-Ministerpräsident Massimo D'Alema (63) sowie der auch in Regierungsfragen erfahrene Jurist und Sozialist Giuliano Amato (74).

Tauziehen und Gerangel um den Präsidentenpalast gab es vor allem auch, weil allein der neue Staatschef die politische Lähmung mit dem Patt im Parlament beheben könnte. Denn der Nachfolger des am 15. Mai scheidenden Napolitano sitzt am Hebel, um das Parlament für Neuwahlen etwa im Juli aufzulösen.

Oder er könnte einem Politiker den Auftrag erteilen, eine für Reformen verantwortliche Koalition auf Zeit zu bilden. Der Ende 2012 zurückgetretene Mario Monti ist zwar noch kommissarisch als Regierungschef in Rom im Amt, das nach neuer Dynamik und Wachstum lechzende Land dadurch aber im Stillstand.

Das derzeitige Dilemma geht von der italienischen Linken aus. Es wird verstärkt durch den riesigen Erfolg des hemdsärmeligen Komikers Beppe Grillo und seiner populistischen Protestbewegung "Fünf Sterne" (M5S) bei den Parlamentswahlen im Februar. Das Links-Bündnis des Pier Luigi Bersani ist stärkste Kraft im Parlament, kann aber nicht allein regieren - im Senat fehlt ihm die Mehrheit. Eine Links-Regierung wäre möglich gewesen, sofern Grillo sie mitgetragen hätte, was er ablehnte.

"Wir brauchen einen Hirten der Seele, keinen Kurienkardinal", schrieb die liberale "La Stampa" gestern zur Präsidentenwahl - und erinnerte damit an die Papstwahl. Viele Italiener wünschen sich frische Kräfte für den Ausweg aus der schweren Krise. Doch dieser Wunsch wird ihnen wohl nicht erfüllt. Die Spitzenkandidaten sind alle "Dinosaurier" der Politik.

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